Ganz schön albern... der Newsletter von Piper im August 2010

Piper ist ein altehrwürdiger Verlag. Und auch wieder nicht. 106 Jahre alt ist er geworden, hat immer wieder ums Überleben gekämpft und sich dann 1995 dem schwedischen Konzern Bonnier angeschlossen, einer Aktiengesellschaft. Wie läuft in einem Konzern eigentlich das Buchgeschäft? – ich weiß es nicht. Aber irgendwie hat man dabei negative Vorstellungen, denkt an Glaspaläste und Rendite und neuerdings – wie bei den Banken – an Scheingeschäfte, Leergeschäfte und an „Blasen“. Alles falsch? Wie werden bei Piper im Bonnier-Konzern, zu dem ein bunter deutscher Verlagsreigen gehört (arsEdition, Carlsen, Malik, Pendo, Piper, Thienemann, Ullstein Buchgruppe), Bücher gemacht? – keine Ahnung. Teilt man sich dort den Markt auf? Oder macht man sich Konkurrenz? Hängt die Veröffentlichung eines Buches von der Qualität oder von der vermuteten Auflage ab? Wie schnell wechseln die Manager? Gibt es längerfristige Strategien oder zählt hauptsächlich der kurzfristige Erfolg. Ein klein wenig verrät uns der Leitspruch des Verlags: Piper, Bücher, über die man spricht. Das kann man so und so verstehen. Aber denken wir positiv!

Wer macht Bücher bei Piper? Wer sind die Lektoren? Es gäbe eine Menge interessanter Fragen, die ein Newsletter beantworten könnte. Leider erfährt man dort nichts. Beginnen wir ganz vorn: Warum setzen die Piper-Leute auf die sterile Vertraulichkeit von Computer-Anreden? Der August-Newsletter beginnt z.B.:

Liebe/r Herr Torsten P...,

Anscheinend kann kein Computer checken, ob ich männlich oder weiblich bin.

endlich sind sie da - die neuen Geschichten des Berliner Strafverteidigers Ferdinand von Schirach, der letztes Jahr mit seinem Debüt »Verbrechen« Publikum und Presse begeistert hat.
Bis dato hielt sich mein Erwarten in Grenzen und wenn ich nicht weiß warum Publikum und Presse begeistert waren..., aber bitte.

»Schuld«, das neue Buch, ist sogar »noch besser als das hochgelobte Erstlingswerk« (FAZ).
Warum besser? Weil es die FAZ behauptet und weil dahinter sicher ein so kluger Kopf steckt, der sich jede Begründung sparen kann?

Auch sonst haben wir genau die richtige Lektüre für Ihren Sommerurlaub: Psychothriller der Extraklasse, literarische Hochkaräter, beste Unterhaltung und wichtige Sachbücher. Klicken Sie sich durchs Programm - es ist auch für Sie etwas dabei. Versprochen!
Die scheinen mich zu kennen. Aber woher? Na ja, ich bin doch Newsletter-Abonnent, also deshalb wohl leicht einzuordnen, leicht zu befriedigen. Lesen wir weiter:

Ferdinand von Schirach, Schuld. Stories, Die neuen Geschichten des Berliner Strafverteidigers. Neue Fälle aus der Praxis des Strafverteidigers von Schirach – die der Autor von Schirach in große Literatur verwandelt hat. Mit bohrender Intensität und in seiner unvergleichlichen lyrisch-knappen Sprache stellt er leise, aber bestimmt die Frage nach Gut und Böse, Schuld und Unschuld und nach der moralischen Verantwortung eines jeden Einzelnen von uns.

Bei solchem Werbetext kommt richtig „Hamlet" auf. Alles ist drin. Solche Strafverteidiger wünschen wir uns; die machen doch glatt Staatsanwalt und Richter überflüssig. Oder ließe es sich auch informativer sagen, um was es in dem Buch eigentlich geht? Weiter zum nächsten Titel:

Valentina Berger, Der Augenschneider. Thriller
Er schneidet ihnen bei lebendigem Leib die Augen heraus: jungen, schönen Frauen. Denn er braucht ihr Augenlicht...

Da wird mir ist ganz schlecht. Dass die Opfer gefoltert und „grausam verstümmelt werden", zudem „attraktiv, schlank und hochgewachsen" sind, will ich doch gar nicht wissen. Hält mich Piper für einen Sadisten? Soll ich weiterlesen?

Sándor Márai, Die Möwe. Roman
Zwei verlorene Seelen und die Macht des Schicksals. Die dramatische Begegnung zwischen einem Ministerialbeamten und einer geheimnisvollen jungen Frau: Warum sucht sie ihn gerade jetzt auf, da er eine schicksalhafte Entscheidung für sein Land getroffen hat? Und weshalb kommt sie ihm so seltsam vertraut vor? Mit diesem Roman gelang dem großen ungarischen Schriftsteller Sándor Márai ein Meisterwerk über Sehnsucht und Vergänglichkeit.

O Gott. Vielleicht sollte ich mir stattdessen eine Rosamunde Pilcher-DVD reinziehen. Schluss jetzt mit diesen unsäglichen Werbesprüchen. Zugegeben, es ist Ferienzeit, Zeit für den leichten Schwachsinn. Hoffentlich wird’s dann im Herbst wieder besser! Und doch, fast hätte ich’s übersehen, angekündigt wird:

Denkanstöße 2011. Ein Lesebuch aus Philosophie, Kultur und Wissenschaft.
Die schönste Versuchung, seit es Bücher gibt
verheißt der Werbetext. So viel süße Sprachsauce hat dieses Buch ganz sicher nicht verdient.

Alles Bluff?
Wir erhielten den Hinweis, dass Piper mit der Berliner Werbeagentur Lohmüller zusammenarbeitet. Auf deren sehenswerter Homepage schreibt die Chefin:
„Was ist gute Werbung? Ich glaube, das lässt sich nicht beantworten. Was eine Medaille verdient oder nicht, soll jeder selbst beurteilen... Und wenn es uns gelingt, Ihnen Werkzeuge mit an die Hand zu geben, die in der Öffentlichkeit für Verblüffung sorgen, hat sich die Frage nach guter oder schlechter Werbung auch erledigt. Ganz einfach, weil die Kampagne verkauft."

Alles klar.