Sonntag, 31. Januar 2010
Habe ich etwas verpasst?

Winterschlaf
Im Januar liegt der Buchhandel noch im Winterschlaf, verdaut das Weihnachtsgeschäft oder macht Inventur. Sollen die Kunden doch erstmal ihre Weihnachtsgeschenke lesen. Immerhin rackert sich Dirk Moldenbauer im Branchenmagazin Buchmarkt mit neuen Hinweisen auf ein goldenes Zeitalter im Web ab. Von eingeübten Werbemechanismen sollten sich die Verlage verabschieden, empfiehlt er, das Social-Media-Marketing nutzen, in Communities neue Kommunikationsräume schaffen. Viel Glück! Vielleicht wirkt sich das ja auch positiv auf die meist faden Homepages und Newsletter der Verlage und Buchhandlungen aus.

Bestsellerliste
Per 25. Januar habe ich dort 28 Titel gefunden. Dass davon ein Drittel aus Verlagen von Random House stammt, nährt mein Unbehagen am Zustandekommen dieser Liste. Trotzdem die Frage: Habe ich etwas verpasst?

Ein Blick auf die ersten zehn Titel genügt. Nichts Neues dabei, womit ich nicht behaupten will, dass das Alte schlecht sei. Aber diese pubertären Vampirgeschichten (P.C. Cast, Stephenie Meyer), nein ich will sie nicht mehr. Auch der breitenwirksame Humor des Herrn von Hirschhausen bringt mich nicht wirklich zum Lachen. Stieg Larsson? Spannend ist ja die Auseinandersetzung der Familie um sein nicht vorhandenes Testament. Spannend auch seine Krimis, Sex – na schön, aber so viel brutale Gewalt? Nein, danke.

Ob mich die heitere Seelenkunde des rheinisch-frohsinnigen Manfred Lütz nachdenklicher macht? Irre – Wir behandeln die Falschen: Unser Problem sind die Normalen. Wohl wahr. Trotzdem geh ich lieber noch ein Stück weiter zurück in die Vergangenheit und greif nach den Büchern von Oliver Sacks. Vielleicht sollte man von ihm mal wieder lesen: Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte. Das ist nicht heiter und doch zum Schmunzeln, sehr informativ – eine Reise in eine uns unbekannte Welt.

Thomas Wiczorek: Die verblödete Republik. Wie uns Medien, Wirtschaft und Politik für dumm verkaufen. Haben wir das nicht schon immer gewusst? Aber letzt Endes sind wir auch selber schuld. Dazu passt der heiß diskutierte, im Januar erfolgreich abgeschlossene Umzug Suhrkamps von Frankfurt nach Berlin. Über diesen Umzug habe man mehr gestritten als über den der Bundesregierung von Bonn nach Berlin, sagte die Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz. Größenwahnsinnig oder will sie uns verblöden?

Würde man anhand der 10 Titel aus der Bestsellerliste einen LOGISCHES DENKEN TEST machen und fragen: Welcher Titel passt am wenigsten in die Auswahl?, könnte man auf Margot Käßmann tippen. In der Mitte des Lebens heißt ihr Buch, für Frauen geschrieben, für Männer erlaubt. Das Buch einer Bischöfin. Ein "frommes" Buch ein Bestseller? Das macht neugierig.

Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen?
Und dann erinnern wir uns an die Weihnachtspredigt Margot Käßmanns, weshalb sie in die Kritik geraten war. Blauäugigkeit wurde ihr in den Medien vorgeworfen. Zu Recht oder zu Unrecht? Vom Verteidigungsminister wurde sie zum Vieraugengespräch geladen. Wir zitieren die beanstandeten Passagen ihrer Predigt (Quelle: www.ekd.de):

"... Aber leider ist nicht alles gut. Das ist uns in gesellschaftlichen Fragen in diesem Jahr besonders bewusst. Erinnern wir uns an den Klimagipfel in Kopenhagen - das kann nicht schöngeredet werden: Die Verhandlungen sind gescheitert an mangelndem Mut, an mangelnder Entschlossenheit und am Egoismus vieler. Das ist nicht nur blamabel, sondern dramatisch. Denn nur durch gemeinsames Handeln aller Staaten können wir den Planeten Erde bewahren für nachwachsende Generationen. Nichts ist gut in Sachen Klima, wenn weiter die Gesinnung vorherrscht: Nach uns die Sintflut!

Nichts ist gut in Afghanistan. All diese Strategien, sie haben uns lange darüber hinweggetäuscht, dass Soldaten nun einmal Waffen benutzen und eben auch Zivilisten getötet werden. Wir brauchen Menschen, die von der Botschaft der Engel her ein mutiges Friedenszeugnis in der Welt abgeben, gegen Gewalt und Krieg aufbegehren und sagen: Die Hoffnung auf Gottes Zukunft gibt mir schon hier und jetzt den Mut von einer anderen Gesellschaft zu reden und mich für sie einzusetzen. Ja, das ist für mich die weihnachtliche Botschaft: Mut zum Frieden gegen alle vorfindlichen Verhältnisse. Manche finden das naiv. Ein Bundeswehroffizier schrieb mir heute Morgen etwas zynisch, ich meinte wohl, ich könnte mit weiblichem Charme Taliban vom Frieden überzeugen. Ich bin nicht naiv. Aber Waffen schaffen offensichtlich auch keinen Frieden in Afghanistan. Wir brauchen mehr Fantasie für den Frieden, für ganz andere Formen, Konflikte zu bewältigen. Das kann manchmal mehr bewirken als alles abgeklärte Einstimmen in den vermeintlich so pragmatischen Ruf zu den Waffen..."

Ganz schön mutig die Frau Käßmann! Und natürlich nichts für Realos, für die christliche Botschaften nur utopisch bleiben. Da sei an Oscar Wilde erinnert: Fortschritt ist eine Verwirklichung von Utopien. Und anders als Helmut Schmidt meinen wir: Wer keine Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.

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Im Blog erwähnte Bücher
10 Titel (von insgesamt 28) aus der Spiegel-Bestsellerliste vom 25. Januar 2010:
1. P.C. Cast, Gezeichnet. House of Night 1. 16,95 €, Fischer
2. Eckart von Hirschhausen, Glück kommt selten allein. 18,90 €, Rowohlt
3. Stieg Larsson, Verdammnis. 9,95 €, Heyne
4. Eckart von Hirschhausen, Die Leber wächst mit ihren Aufgaben. Kurioses aus der Medizin. 9,95 €, Rowohlt
5. Herta Müller, Atemschaukel. 19,90 €, Hanser
6. Margot Käßmann, In der Mitte des Lebens. 16,95 €, Herder
7. Stieg Larsson, Vergebung. 9,95 €, Heyne
8. Thomas Wiczorek, Die verblödete Republik. Wie uns Medien, Wirtschaft und Politik für dumm verkaufen. 8,95 € Droemer/Knaur
9. Stephenie Meyer, Bis(s) zum Ende der Nacht. 24,90 €, Carlsen
10. Manfred Lütz, Irre – Wir behandeln die Falschen: Unser Problem sind die Normalen – Eine heitere Seelenkunde. 17,95 € Gütersloher Verlagshaus

Hinweis auf die Bücher von Oliver Sacks, darunter:
Oliver Sacks, Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte.
9,95 €, Rowohlt Tb




Sonntag, 10. Januar 2010
Sind wir nicht alle ein bisschen demjanjuk?

Manchmal fällt es schwer sich zu erinnern. Erinnern wir uns an den 30.11.2009: Im Rollstuhl ein sabbernder 89jähriger, über dessen schrecklicher Vergangenheit zu Gericht gesessen wird: John Demjanjuk. Beihilfe zum Mord an 27900 Juden wird ihm vorgeworfen. Demjanjuk, der Ukrainer und Sowjetsoldat, der Wachmann im deutschen Vernichtungslager Sobibor. Demjanjuk, der 1993 nach fünfjähriger Haft aus der israelischen Todeszelle freikam, aber auch weiterhin in den USA wegen seiner vermuteten Verbrechen verfolgt wurde.

In manchen Zeitungen war zu lesen, dass der Sinn von NS-Prozessen im Aussprechen der Wahrheit liegt, nicht im Urteil. Es nimmt religiöse Dimensionen an, wenn weiter geschrieben wurde, dass das Auflehnen gegen das Vergessen der einzige Dienst ist, den man den Millionen Umgebrachten – den um ihr Leben Gebrachten – noch erweisen kann. Die Wahrheit müsste jeden von uns betreffen.

Genau dieses persönliche Betroffensein vermisst man aber in der Berichterstattung der Medien. Angesichts unvorstellbarer Gräueltaten werden meistens Schuldige gesucht, denen das Versagen zugewiesen werden kann, von dem wir uns selbst freisprechen wollen. Als besonders unangenehm werden deshalb in der Öffentlichkeit diejenigen Hinweise aufgenommen, die auf Abgründe in uns selbst deuten. Erinnern wir uns:

Soldaten sind Mörder
Dieses Tucholsky-Zitat beschäftigte die Gerichte bis in unsere Tage. Vieles von dem, was dem kranken Hirn eines Marquis des Sade entsprungen zu sein scheint, wird im Krieg legalisiert. Wer erinnert sich noch an die Diskussionen über die Bilder der Wehrmachtsausstellung? an das Massaker von My Lai? oder an den Folterskandal von Abu-Ghuraib?

Den Abschuss eines von Terroristen gekaperten Passagierflugzeugs hat der Bundesgerichtshof untersagt; darf dann die Tötung afghanischer Zivilisten bei der Bombardierung gekaperter Tanklaster in Kauf genommen werden? Im Krieg gelten andere Gesetze? Spätestens jetzt müssten wir uns an das Filbinger-Wort erinnern: "Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein." 1996 entrüsteten sich viele Leser und Nichtleser über das Buch von Daniel Goldhagen "Hitlers willige Vollstrecker". Es machte deutlich, dass für das Funktionieren der Todesmaschinerie auch viele, viele kleine Rädchen nötig waren.

Ich möchte wetten, dass auf den Speichern mancher mittelständischer Patrizierhäuser Chroniken vergilben, in denen die begeisterten Frontberichte der Lehrlinge gesammelt sind, geschmückt mit den typischen Zigaretten-Sammelbildchen jener Zeit, auf denen zum Beispiel martialische Stukas Bomben und Feuer spucken.

Die Suche nach Wahrheit sollte aber nicht nur dem Aufspüren von Schuldigen dienen, sondern der Verhütung des Wiederholbaren. Es wäre schlimm über einen jungen Günter Grass wegen seiner Zugehörigkeit zur SS zu urteilen; allenfalls könnte man bedauern, dass er die nachfolgende Generation nicht zeitiger, intensiver und aufgrund ganz persönlicher Erfahrung auf die Gründe für Irrwege hinwies.

Lieber als "Hitlers willige Vollstrecker" lesen wir natürlich "Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk", der sich durch alle Widrigkeiten laviert oder Bohumil Hrabals, "Ich habe den englischen König bedient", ein Schelmenroman über den Opportunismus. Der Wahrheit dürften beide Bücher nicht nahekommen. Die ist eher in den "Wohlgesinnten" von Jonathan Littell zu finden. Dort erfahren wir auch, dass nicht nur die einfachen Schwejks zu Mördern verkommen können, auch zu klassischer Musik lässt es sich foltern und vergewaltigen.

In Rezensionen wurden die von Jonathan Littell vorgetragenen, pedantisch recherchierten Gräuel kritisiert. Sie sind in der Tat unfassbar, schwer zu lesen – und doch wahr. Und mindestens ein Satz sollte sich allen Lesern des Buches einprägen:

"Ich will hier nicht behaupten, ich sei an diesem oder jenem nicht schuldig", erklärt Max Aue (der fiktive Erzähler der Wohlgesinnten) gleich zu Beginn seines Berichts. "Ich bin schuldig, ihr seid es nicht, wie schön für euch. Trotzdem könntet ihr euch sagen, dass ihr das, was ich getan habe, genauso hättet tun können. Vielleicht mit weniger Eifer, dafür möglicherweise auch mit weniger Verzweiflung."
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Im Blog wurden folgende Bücher erwähnt:

Jonathan Littell, Die Wohlgesinnten
Roman. Ausgezeichnet mit dem Prix Goncourt 2008
BVT Berliner Taschenbuch Verlag, Bd. 628, € 18,00

Daniel J. Goldhagen, Hitlers willige Vollstrecker
Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocoust.
Goldmann Taschenbücher Bd. 15088, € 12,50

Bohumil Hrabal, Ich habe den englischen König bedient
Roman. Suhrkamp Taschenbücher Nr. 1754, € 9,00

Jaroslav Hasek, Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
Roman. Aufbau Taschenbücher Bd. 6108. € 12,95




Samstag, 2. Januar 2010
Zeitraffer 2009


Schade...

... so bloggten wir Ende August, dass die Möglichkeiten des Internets von den Verlagen und Buchhandlungen so wenig oder hauptsächlich nur von ihren Werbetextern und Webdesignern genutzt werden. Alles Wissen über eine gute Öffentlichkeitsarbeit scheint verloren gegangen. Die technischen Möglichkeiten, die eine schnelle und fundierte Information aus erster Hand ermöglichen, der direkte Kontakt mit den Kunden, von all dem ist wenig zu sehen oder in Langeweile erstarrt. Werbespot reiht sich an Werbespot. Der 2008 verstorbene Joseph Weizenbaum hat es auf den Punkt gebracht: "Die Computerisierung des Alltags bringt am Ende nicht Kreativität, sondern die große Gleichförmigkeit".*1


Mehr Information und mehr Ehrlichkeit im Angebot
Das waren zwei unserer Forderungen. Zumindest die Händler sollten ihren Kunden alle lieferbaren Ausgaben eines Titels nennen. Als Kunde interessiert mich, ob mein Wunschtitel neben der gebundenen Ausgabe bereits als Taschenbuch existiert oder als Hörbuch oder als E-Book. Interessieren würde mich in welchem Zusammenhang das vorgestellte Buch mit den Richtlinien seines Verlegers, mit anderen (konkurrierenden Titeln) mit aktuellen Gesellschaftsthemen und mit vorgeprägten Meinungen steht. *2

Woher nehmen die Kritiker ihre Kriterien?...
... fragten wir und wissen auch heute keine Antwort. Um die Bedeutung einer Rezension - letztlich einer Meinung – einschätzen zu können, müsste man auch mehr über den Rezensenten wissen, über sein Vorwissen, seine Interessen und seinen Anspruch, nur dann lässt sich seine Aussage einordnen. Man wird den Verdacht nicht los, dass in den Marketingabteilungen der Verlage eifrig Leserbriefe produziert werden, die zur Ankurbelung des Verkaufs Bücher über den grünen Klee loben. Von Herzen kommen solche Rezensionen nicht und seriös ist das auf keinen Fall. *3

Die Verwirrung des Daniel Kehlmann *4
Wie kommt es, dass vieles was im finstren Mittelalter gang und gäbe war, heute als überwunden gilt und dennoch in unseren Köpfen sitzt und jederzeit ausbrechen kann? Daniel Kehlmann pries den (schon wieder vergessenen?) Film Lars von Triers ANTICHRIST und verstieg sich in der ZEIT zu der Frage „Was, wenn die Hexenverbrennungen berechtigt waren? Wenn es den Teufel gibt und wenn böse Frauen existieren, die mit ihm im Bunde sind?“ Wir antworteten darauf mit Die Verwirrung des Daniel Kehlmann und in einem Leserbrief der ZEIT stand: „Das wäre eine glänzende Rechtfertigung der massenhaften Hexenverfolgungen durch die christlichen Kirchen und eine Rehabilitation erster Klasse all der Inquisitoren, Verleumder, Folterknechte, Henker, deren Motive man bislang in kollektivem Wahn, Paranoia, Sexualneurosen und Sadismus gesehen hat. Diese sich so naiv gebärdende und doch so abgefeimte Frage ließe sich, konsequent weitergedacht, für all jene Gruppen von Menschen stellen, die Verfolgung und Massenmord anheimgefallen sind: "Was, wenn sie letztlich zu Recht vernichtet wurden? Weil..." - nun, die Gründe mag Herr Kehlmann sich bei den Mördern selbst abholen." *5

Rückkehr zur Nabelschnur *6
Den 80. von Günter Grass feierten wir mit der ersten Rezension der „Blechtrommel“ in der FAZ. Der große Günter Blöcker verfasste sie 1960. Ein grandioser Verriss. Günter Grass zollt dieser Rezension durchaus Respekt, „weil der Mann das Buch gelesen hat (etwas, das Grass bei heutigen Kritikern oft vermisst).

Wortgeblubber *7
Und wenn es die Kritiker doch gelesen haben und anschließend ihre Rezension schreiben, wer garantiert uns Lesern, dass wir wirklich etwas über das Buch erfahren und nicht nur – wie in einem Beispiel dokumentiert – mit Wortgeblubber Zeit verschwenden?

Buchmesse *8
Insel im Wortgeblubber war wie jedes Jahr die Buchmesse, auf der diesmal China das Gastland war. Als die Stände wieder abgebaut und alle Papierschnippsel weggefegt waren, fühlten wir uns an Ror Wolf (Hans Waldmanns Abenteuer) erinnert:
ist das wirklich alles schon gewesen?
fragt die witwe gähnend den chinesen,...
Alles ist verschwommen und verschmiert.
Aber sonst ist nicht sehr viel passiert.


Jubel, Trubel, Nobelpreis *9
Die Überraschung war groß als Herta Müller den Nobelpreis für Literatur erhielt. Ihr jüngstes Werk – „Atemschaukel“ – bei Hanser erschienen, war bis zu dem Zeitpunkt von der Kritik ziemlich unbeachtet geblieben. Mittlerweile hat sich das geändert und aus manchen Verächtern ihrer ästhetisierenden Beschreibung von Gräueln wurden Bewunderer. Wir wünschten und wünschen Herta Müller eine intensivere Auseinandersetzung mit ihrem Werk.

E-Books
Mehrere male beschäftigten wir uns mit dem E-Book. Während anfangs noch mit einem "Endlich papierfrei" bejubelt, machte die Euphorie schnell einer nüchternen Enttäuschung Platz. Die Käufer hielten sich zurück. Die Vorteile des E-Books lassen zu wünschen übrig. Richtig spannend könnte es dann werden, vermuten wir, wenn Autoren bei der Selbstvermarktung auf das E-Book zurückkommen. *10

Mein Tipp für Verlage
Vorteilhaft wären die E-Books, wenn sie wirklich eine preisliche Alternative böten. Das ist nicht der Fall, und was einem die Verlage an Vorteilen aufschwatzen wollen, ist einfach lächerlich. Von den jährlich 140000 neuen Büchern kann ich mir leider nur einen Bruchteil leisten und von dieser eingekauften Lektüre erscheint mir nachträglich ein Großteil relativ überflüssig. Mein Problem ist die Buchentsorgung. Irgendwie scheue ich mich, Bücher ganz einfach in die Mülltonne zu werfen und außerdem ärgere ich mich, wenn ich meinen Etat für Bücher nicht besser anlegen konnte. Die Lösung wäre, wenn ich zum Beispiel Novitäten für die Dauer von sagen wir 14 Tagen herunterladen (ausleihen) könnte. Nach Ablauf dieser Frist könnte sich die Datei selbst löschen und selbstverständlich wäre auch nichts einzuwenden gegen einen Kopierschutz. Für eine solche befristete Ausleihe würde ich dem Verlag pro Titel gern drei Euro bezahlen. *11

Wer hätte das gedacht?
Der Religionsmonitor *12 der Bertelsmannstiftung prüft seit geraumer Zeit die Religiosität der Menschen. Und was ist das Ergebnis? Danach sind wir alle mehr oder weniger religiös. Ob das allerdings einen frommen Bücherboom zur Folge hat, scheint fraglich; denn um religiös zu sein muss man nicht an Gott oder Teufel oder Engel glauben. Es genügt schon so zu reagieren wie der Schauspieler Ewan McGregor (Darsteller eines Priesters im Film Illuminati). Er antwortete im Interview auf die Frage "Besitzt etwas für Sie religiösen Wert?" schlicht und einfach: "Motorradfahren".

Wettstreit der Religionen
Dass Religionen die Gesellschaft prägen steht außer Frage. In Berlin tobte eine Art Kulturkampf um die Frage Ethik oder Religion. *13 Wer von beiden sollte an Schulen das Vorrecht haben Pflichtfach zu sein? Die streitbare Ayaan Hirsi Ali und der nicht weniger streitbare Tariq Ramadan kriegten sich in die Haare. Forderte die bekannte Frauenrechtlerin wegen schreiender Ungerechtigkeiten eine Entislamisierung der Muslime kontert der andere, dass nur Menschen, die ihre kulturellen, religiösen und intellektuellen Ghettos verlassen, einen Kampf der Kulturen verhindern können. *14

Schade lieber Börsenverein
Solche Menschen waren allerdings in der Schweiz in der Minderheit als dort über den Bau von Minaretten abgestimmt wurde. Vergessen war der alte Lessing und der noch ältere Ramon Lull. Auch Buchhandel und Börsenverein haben das Gedächtnis eines Siebs. Oder ist es Absicht, dass nicht mehr an Annemarie Schimmel erinnert wird, die 1995 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels geehrt wurde? Eine Anerkennung für ihr Versöhnungswerk mit dem Islam. Die Wellen schlugen hoch damals und es gab auch viel Ablehnung. Es lohnt sich auch heute noch die Laudatio vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zu lesen und natürlich auch die Dankesrede von Annemarie Schimmel.
Alles im Internet zu finden. Schade, lieber Börsenverein, dass Sie nicht darauf aufmerksam machen. Der Friedenspreis des deutschen Buchhandels sollte doch mehr wert sein als das Preisgeld!
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* 1 Beobachtungen auf dem Buchmarkt: Buchhandel & Internet, 1. 26.08.2009
* 2 Beobachtungen auf dem Buchmarkt: Buchhandel & Internet, 3. 27.08.2009
* 3 Beobachtungen auf dem Buchmarkt: Blödsinnig. 29.09.2009
* 4 Zur Diskussion: Die Verwirrung des Daniel Kehlmann. 0 4.09.2009
* 5 Aufgelesen: Abgefeimte Frage. 17.09.2009
* 6 Zur Diskussion: Rückkehr zur Nabelschnur. 01.11.2009
* 7 Beobachtungen auf dem Buchmarkt: Wortgeblubber. 02.10.2009
* 8 Beobachtungen auf dem Buchmarkt: Buchmesse 2009. War’s das? 20.10.2009
* 9 Beobachtungen auf dem Buchmarkt: Jubel, Trubel, Nobelpreis. 08.10.2009
*10 Beobachtungen auf dem Buchmarkt: bye bye e-book. 20.09.2009
*11 Zur Diskussion: Mein Tipp für Verlage. 28.11.09
*12 Zur Diskussion: Religionsmonitor. 18.10.09
*13 Zur Diskussion: Buch und Kirche. 14.12.09
*14 Zur Diskussion: Wettstreit der Religionen? 01.09.09