Freitag, 2. Oktober 2009
Wortgeblubber - ein Beispiel


DIE ZEIT brachte die folgende Rezension (hier gekürzt wiedergegeben) über den neuen Roman von Thomas Glavinic, „Das Leben der Wünsche". Nachdem ich Rezension und Buch (Hanser, 21,50 €) gelesen habe, stelle ich fest: Keine Frage, dass Thomas Glavinic zu schreiben versteht, aber was will er eigentlich sagen? Und was meint der Rezensent (dessen Namen ich leider nicht feststellen konnte) dazu? Und wer blubbert eigentlich mehr: der Rezensent oder doch der Autor?

Wer hat nicht schon einmal beim Anblick einer Sternschnuppe darauf gehofft, dass sich der insgeheim geäußerte Wunsch irgendwann erfüllt? Und wer gibt sich nicht gern mal der Täuschung hin, dass das Leben eine Art Wunschkonzert ist? Trotzdem würde man stutzig, wenn sich eines Tages ein Mann zu einem setzen und anbieten würde: "Ich erfülle Ihnen drei Wünsche." Vermutlich würde man den Mann für wahnsinnig halten. Vielleicht ihm auch rüde entgegnen, so wie es Jonas macht, der Held aus Thomas Glavinics neuem Roman... Und vielleicht würde man sich dann auch wie Jonas aus Spaß und Neugier darauf einlassen: "Ich wünsche mir, dass sich alle meine Wünsche erfüllen. Dies ist mein erster Wunsch, und auf die anderen zwei kommt es nun nicht mehr an, ich schenke sie Ihnen."...
Jonas ist mit Helen verheiratet, die er nicht mehr so liebt. Er hat zwei Kinder mit ihr, zwei Jungen, die er abgöttisch liebt. Und er hat eine Geliebte, Maria, die er auch sehr liebt. Sein Job in einer Werbeagentur dagegen liegt ihm so gar nicht am Herzen, aber irgendwo muss das Geld ja herkommen...
Jonas lebt plötzlich in einer Parallelwelt, und in dieser lebt er ganz allein.
Womit wir gleich ganz in der bizarren Romanwelt von Thomas Glavinic wären. Ständig neue Einfälle sind ihr oberstes Charakteristikum.
Jonas will das Alte jetzt nicht mehr wiederherstellen, sondern abstreifen. Er versucht, der Fremdheit seines Lebens zu entkommen, etwas Eigenes zu entwickeln. Nur weiß er nicht, ob er die Kontrolle über sein Leben hat. Oder ob ihn jemand kontrolliert?
Er weiß nicht, wie frei er in seinen Gedanken, Wünschen und Entscheidungen wirklich ist, was überhaupt für Obsessionen in ihm schlummern. Und wie sicher die vermeintlichen Sicherheiten seines Lebens sind. Daraus bezieht Das Leben der Wünsche lange seine Spannung, und dramatisch gut zudem ist, wie Glavinic all das fast gleichmütig erzählt: in einer trockenen, ohne Schnörkel und lange Sätze auskommenden Sprache. Und in kurzen Kapiteln, in denen Jonas’ Welt Stück für Stück aus den Fugen gerät, ohne dass er oder der Leser wüssten, ob das Ganze nun maßloses Glück verspricht oder katastrophische Ausmaße annimmt.
Erst sind es nur Jonas’ Aktienkurse, die steigen; sein (zu) kleiner Sohn erfährt einen Wachstumsschub, an den seine Eltern nicht mehr geglaubt hatten, es gibt merkwürdige Unfälle, deren Augenzeuge Jonas wird. Dann aber liegt seine Ehefrau Helen tot in der Wanne, steigt er nicht in ein Flugzeug, das später abstürzt, hört er von der wundersamen Heilung einer krebskranken, moribunden Freundin.
Alltagsrealität und dunkles Unterbewusstsein gehen bei Jonas zunehmend ineinander über, die Wünsche, geäußert oder nicht, übernehmen machtvoll die Regie. Trotzdem hat man nie das Gefühl, einen phantastischen Roman zu lesen. Auch Jonas bleibt lange Zeit standhaft und entwickelt nur selten Gedanken wie diesen: "Wenn die Buddhisten recht hatten, dachte er, (...), wenn all jene recht hatten, die an ein Weiterleben nach dem Tod glaubten, dann wünschte er sich nur, in einer vollkommen anderen Welt als dieser wiedergeboren zu werden."
Thomas Glavinic tut ihm diesen Gefallen im letzten der drei großen Kapitel, das zu den vorhergehenden allerdings abfällt. Darin verbindet er die Liebe, den Tod, das Paradies und den Untergang der Welt, vielleicht etwas zu lax, etwas zu obenhin, etwas zu großtuerisch, aber doch so, dass man weiß: Seine Wünsche behält man lieber für sich. Und ihre Erfüllung ist auch nie der Weisheit letzter Schluss.



Dienstag, 29. September 2009
Remember: "blödsinnig"

Blödsinnig
Viel Beifall erntete Marcel Reich-Ranicki im Herbst des vergangenen Jahres als er sich dem Ehrenpreis des Deutschen Fernsehens verweigerte, weil er viele der Sendungen als schlicht blödsinnig empfand. Ein offenes Wort. Aber ist denn die Situation auf dem Buchmarkt viel besser?


Von jährlich über 80000 Novitäten ist längst nicht alles Gold, was glänzt, trotzdem dürfte es mehr Lesenswertes geben als auf den Kulturseiten der Medien gemeldet wird. Aber was und warum ist "lesenswert“ und was "blödsinnig"?

Kritik der Kritik
"Woher nehmen Sie Ihre Kriterien?" wurde Elke Heidenreich in einem in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Interview gefragt. Und ihre Antwort: "Die haben sich durch ganz lange Leseerfahrung gebildet. Durch Beschäftigung mit Büchern. Durch Abwägen." Doch was wird "abgewogen"? Was hat Gewicht? Was sind die Kriterien?

"Die Vorleser", Amelie Fried und Ijoma Mangold, schweigen sich darüber ebenfalls aus. Auf Kriterien für ihre ZDF-Literaturkritik haben sie sich nicht festgelegt.
Auch bei Denis Scheck dem Moderator der sonntäglichen Büchersendung "Druckfrisch" ist dazu nichts zu erfahren; er hält zwar manches für Stuss und wirft es in die symbolische Altpapiertonne, aber auch seine Kriterien scheinen mehr von subjektiver Emotion geprägt und werden nicht beim Namen genannt.

Um die Bedeutung einer Rezension - letztlich einer Meinung – einschätzen zu können, müsste man auch mehr über den Rezensenten wissen, über sein Vorwissen, seine Interessen und seinen Anspruch, nur dann lässt sich seine Aussage einordnen.

Das fehlt in der Regel und so geschehen solche Merkwürdigkeiten, dass die BILDzeitung Charlotte Roches „Feuchtgebiete" ein Schmuddelbuch, die Frankfurter Allgemeine den gleichen Titel „einen klugen Roman“ nennt.
Empfiehlt es sich bei solch unterschiedlicher Beurteilung überhaupt eine Rezension zu lesen? Man wird den Eindruck nicht los, dass mit Rezensionen oftmals weniger Urteilsfindung geboten, sondern nur kräftig die Werbetrommel gerührt wird.

Selbstkritisch
Es kann allerdings auch sein, dass Rezensionen dem Mainstream entsprechen wie man es bei tausenden Blogs beobachten kann: ein mehr oder weniger liebenswürdiges Wortgeblubber, das gar keine Resonanz erwartet und in Selbstdarstellung erstarrt.
Da ist nun im Laufe der nächsten vier Jahre zu erhoffen, dass die letzte Bundestagswahl auch hier Änderungen bewirkt: dass zukünftig mehr auf Standpunkte geachtet wird, mit denen man sich auseinandersetzt.

Schön wär’s!



Dienstag, 22. September 2009
Grübeleien


Warum schrieb Jesus kein Buch?
Eigentlich schade, dass Jesus – obwohl er doch ein kluger Rabbi und ganz sicher lesen und schreiben konnte – kein Buch verfasst hat. Was mag ihn daran gehindert haben? Der Grund weshalb Mohammed zum Schreibzeug griff und den Koran verfasste, ist allgemein bekannt: Ein Engel diktierte ihm.

Heiliger Borromäus, hilf!
Zum Grübeln brachte uns der Hinweis auf der Website des Borromäusvereins „...dass es keine allgemeingültige und trennscharfe Formel gibt, nach der sich das christlich-jüdische Menschenbild auf Literatur und andere Medien anwenden ließe...“
Bücher AbissZ meint: Wenn es sich aber auf keine Literatur anwenden lässt, dann wohl auch auf nichts anderes? Oder nicht? Oder doch?

Was stimmt?
Richard Dawkins, „Der Gotteswahn" ist seit 2008 auch als Ullstein-Tb lieferbar. Über dieses Buch, das am Christentum kein gutes Haar lässt, sagte der evangelische Theologe Fulbert Steffensky: „Dawkins finde ich von dröhnender Banalität."
Einer der bedeutendsten deutschen Wissenschaftstheoretiker, Hans Albert, zugleich ein bekennender Atheist, erklärte: „Dawkins' Buch finde ich nicht besonders überzeugend... es ist erkenntnistheoretisch teilweise naiv."
Ganz anders der kircheneigene Borromäusverein; er beschreibt dieses Buch so: "»Religion ist irrational, fortschrittsfeindlich und zerstörerisch.«" Richard Dawkins, einer der einflussreichsten Intellektuellen der Gegenwart, zeigt, warum der Glaube an Gott einer vernünftigen Betrachtung nicht standhalten kann. Ein wichtiges Buch, das zu einem brennend aktuellen Thema eindeutig und überzeugend Position bezieht brillant und bei aller Schärfe humorvoll."
Bücher AbissZ meint: Wenn das der Papst wüsste!

Harmonie von christlicher Weltanschauung und Markterfordernissen
Wie das funktioniert müsste WELTBILD mal näher erklären. Der Internetbuchhändler formuliert auf seiner Homepage: „Verantwortung gegenüber Kunden, Gesellschaftern, Mitarbeitern und der Öffentlichkeit prägt das unternehmerische Denken und Handeln. Christliche Weltanschauung mit den Erfordernissen des Marktes überzeugend in Einklang zu bringen, heißt die tägliche Herausforderung. Die Orientierung an Werten ist Maßstab. Die Gesellschafter der Verlagsgruppe Weltbild sind 14 katholische deutsche Diözesen und die Soldatenseelsorge."
Bücher AbissZ meint: Dieses Bekenntnis hat allerdings den Anfang 2009 gekündigten 322 Weltbild-Mitarbeitern wenig geholfen.