Sonntag, 6. September 2009
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Bücher AbissZ
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Freitag, 4. September 2009
Die Verwirrung des Daniel Kehlmann


"Die Natur ist Satans Kirche"

Wie kommt es, dass vieles was im finstren Mittelalter gang und gäbe war, heute als überwunden gilt und dennoch in unseren Köpfen sitzt und jederzeit ausbrechen kann?

Einfacher gefragt:
Haben wir bestialisches Denken und Wünschen wirklich abgelegt?
Könnten wir uns heute nicht mehr an einer öffentlichen Hinrichtung freudvoll ergötzen? Verursacht uns die Marter der Gefolterten Erbarmen oder Lust? Daniel Kehlmann, prominenter Bestsellerautor (zuletzt erschien von ihm „Ruhm") bespricht in DIE ZEIT, Nr. 37, 3. September 2009 Lars von Triers Film "Antichrist". Unter der Überschrift DIE NATUR IST SATANS KIRCHE schreibt dort Kehlmann:

„Alles, was man über diesen Film hört, ist wahr. Seine Brutalität ist fast unerträglich, er ist blutig, dunkel und grausam, er enthält eine Verstümmelungsszene, die man, hat man sie gesehen, lieber nicht gesehen hätte, und sein Weltbild ist im umfassenden Wortsinn mittelalterlich..."

Das soll, könnte man meinen, genügen, um sich bei diesem Film für oder gegen einen Kinobesuch zu entscheiden. Aber nein, Daniel Kehlmann braucht weitere 167 Zeilen, auf denen er den „Antichrist" als ein außergewöhnliches Kunstwerk über das wahre Böse, den reinen Horror und den albtraumhaften Ekel feiert.

O-Ton Kehlmann: „ Dass aus der Fleischeslust Unheil erwächst, dass der Teufel der Herr der Natur ist, dass es Hexen gibt, die mit ihm im Bunde sind, und dass gegen seine dunkle Gewalt keine Therapie, sondern nur entschlossene Gegengewalt und reinigendes Feuer helfen, sind ja keine sozialpolitischen Thesen, sondern altbewährte Motive des Märchens und der Schauerromantik."

Und, das vergaß Daniel Kehlmann, sie sind auch Inhalt einer überwundenen mittelalterlichen Theologie. Aber vielleicht finden sich ja Theologen oder auch Buchhändler, die Kehlmann (und Lars von Trier) auf eine zeitgemäßere Interpretation des Bösen hinweisen.

Ansonsten: Wem mittelalterliches Denken und Perversionen fehlen, der weiß jetzt wo er sich befriedigen kann.

Siehe auch Blog "Aufgelesen".



Dienstag, 1. September 2009
Wettstreit der Religionen?


Religionen prägen die Gesellschaft
Wir wollen uns nichts vormachen: Religiöse Erfahrungen prägen alle Gesellschaften. Darüber zu streiten, welche dieser Erfahrungen unsinnig, sinnvoll, grausam oder rettend sind, welche Religion am Schluss die menschenfreundlichste ist, mündet in einer Diskussion ohne Ende. Paradoxerweise könnte in diesem Streit am besten nur ein atheistischer Souverän schlichten, der selbst auf einen absoluten Wahrheitsanspruch verzichtet, allen Diskutanten Religionsfreiheit garantiert und – wenn er auf demokratischen Füßen steht – alle Meinungen gerecht berücksichtigt.

Frage an die Religionen
Dass Ansichten auch innerhalb einer Religion sehr unterschiedlich sein können, wird manchmal der aufmerksamen Öffentlichkeit eindrucksvoll dokumentiert, etwa wenn es um die Freiheit der Forschung oder die Interpretation von Lehrmeinungen geht oder wie jüngst in der katholischen Kirche um den "rechten" Glauben der Piusbruderschaft. Die streitbare Ayaan Hirsi Ali und der nicht weniger streitbare Tariq Ramadan gerieten sich vor einiger Zeit in die Haare. Forderte die eine wegen schreiender Ungerechtigkeit eine Reform des Islams indem man die Muslime "entislamisiere", wirft ihr der andere obsessive Kritik vor und argumentiert, dass auch in anderen Religionen Gewalt eine große Rolle spielt (s. Welt-Online). - Das stimmt, und dennoch entschuldigt vielfaches Unrecht keine einzelne Untat: Zweimal Unrecht ist kein einziges Mal Recht. Religionen wie Regierungen müssen es sich gefallen lassen zumindest von suchenden Wählern gefragt zu werden, was sie Neues gebracht haben - Gutes, Schlechtes, Humanes und Inhumanes?

Ayaan Hirsi Ali, in Somalia geborene, bekannte Frauen-
rechtlerin und Auto-
rin, gilt als eine der schärfsten Kritike-
rinnen des Islam. Sie kämpft vor allem für die Rechte musli- mischer Frauen. Streng muslimisch erzogen begehrte sie früh auf gegen Zwangsheirat und die Fesseln einer unterdrückerischen Tradition. Ich klage an (7,95 €) von Ayaan Hirsi Ali und weitere Bücher von ihr erschienen bei Piper. Tariq Ramadan gilt als einer der schillerndsten muslimischen Intellektuellen im Westen. Für viele ist er ein "Wolf im Schafspelz", was ihm meist aufgrund seiner Herkunft unterstellt wird: er ist der Enkel Hassan al-Bannas, des Gründers der Muslimbrüder in Ägypten. Die Muslimbrüder – eine in Ägypten verbotene Gruppe – wollen einen islamischen Staat errichten, in dem die Scharia gelten soll.
Die Einträge im Internet für, gegen und über Tariq Ramadan überschreiten die Millionengrenze. Im französischen Fernsehen lief zwischen ihm und dem damaligen Innnenminister Nicolas Sarkozy eine emotional aufgeladene Diskussion, die als Video in französischer Sprache unter http://www.dailymotion.com/video/xbvaq_nicolas-sarkozy-vs-tariq-ramadan zu sehen ist. Dieses Video erhielt bis heute 155993 Abrufe und 722 Kommentare. Sehenswert ist auch der jüngste Beitrag von 3sat: http://www.youtube.com/watch?v=YEnCxxBUb34

Nina zu Fürstenberg hat eine diskutable Biographie geschrieben, die im Verlag Herder erschienen ist: Wer hat Angst vor Tariq Ramadan? Der Mann, der den Islam reformieren und die westliche Welt verändern will. Preis 16,95 €
Von Tariq Ramadan erschien dieses Jahr bei Diederichs: Radikale Reform. Die Botschaft des Islam für die moderne Gesellschaft, 24,95 €

Thesen des Tariq Ramadan:
Um einen Kampf der Kulturen zu verhindern braucht es Menschen, die aus ihren jeweiligen kulturellen, religiösen und intellektuellen Ghettos herauskommen.
Der Westen darf nicht behaupten, er wäre dem islamischen Orient überlegen.
Die Säkularisierung befreite nicht nur die Gesellschaft von der Herrschaft der Religion, sondern führte zugleich zu einer Infragestellung der Grundlagen der Moral.
Sich integrieren heißt sich verändern.
Die moderne westliche Welt ist eine Welt ohne Gott.
Nur der Islam kann die Synthese zwischen Christentum und Humanismus herstellen und die geistliche Leere des Westens auffüllen.

Zurück zu unserer eingangs gestellten Frage "Steinigen?" Tariq Ramadan wird wiederholt vorgeworfen, dass er sich nicht eindeutig für das Verbot von Steinigungen, sondern nur für ein Moratorium ausgesprochen habe. Mag sein, dass dabei auch privater Konflikt mitspielt; denn sein Bruder, Hani Ramadan, hat die Steinigung von Ehebrecherinnen öffentlich verteidigt und musste deshalb aus den den Diensten des Kantons Genf austreten.

Nicht um zu streiten, sondern aus Gründen der Nachdenklichkeit zitieren wir zu diesem Thema aus unterschiedlichen Quellen vier Beispiele, wohl wissend, dass die Kirchenvertreter, das, was in ihren "heiligen Büchern" steht, oft recht unterschiedlich interpretieren.

Ehebruch

Dazu sagt die Tora:

Wenn ein Mann dabei ertappt wird, wie er bei einer verheirateten Frau liegt, dann sollen beide sterben, der Mann, der bei der Frau gelegen hat, und die Frau. Du sollst das Böse aus Israel wegschaffen.

Dazu sagt das Neue Testament:
Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie in die Mitte und sagten zu ihm: Meister, diese Frau wurde beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt. Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Nun, was sagst du?... Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete sich Jesus auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie.

Dazu sagt der Koran:
Wenn eine Frau und ein Mann Unzucht begehen, dann geißelt jeden von ihnen mit hundert Hieben. Habt kein Mitleid mit ihnen angesichts der Religion Gottes, so ihr an Gott und den Jüngsten Tag glaubt.

Dazu ein Zitat aus der Literatur:
Ich kann so gut verstehen die ungetreuen Frauen,
So gut, mir ist, als könnt ich in ihre Seelen schauen.
Ich seh um ihre Stirnen die stumme Klage schweben,
Die Qual am langen, leeren, am lebenleeren Leben;
Ich seh in ihren Augen die Lust, sich aufzugeben,
Im Unergründlichen, Verbotenen zu leben,
Die Lust am Spiel, die Lust, das Letzte einzusetzen,
Die Lust am Sieg und Rausch, am Trügen und Verletzen.
Ich seh ihr Lächeln und die heimlichen, die Tränen,
Das rätselhafte Suchen, das ruhelose Sehnen.
Ich fühle, wie sies drängt zu törichten Entschlüssen,
Wie sie die Augen schließen, und wie sie quälen müssen;
Wie sie für jedes Morgen ein jedes Heut begraben,
Und wie sie nicht verstehen, wenn sie getötet haben.

Wir zitierten hier das Gedicht "Erfahrung" von Hugo von Hofmannsthal

Welche "Werte" in welchem Text wollen wir favorisieren?
Nach welchen "Werten" soll sich die Gesellschaft orientieren?
Welche "Werte" wären in allen Gesellschaften wünschenswert?


Alle hier erwähnten Bücher erhalten Sie in jeder Internetbuchhandlung. Mehr Information bekommen Sie - und mehr Spaß macht es auch - wenn Sie die Bücher in einer Buchhandlung in die Hand nehmen und darin blättern. Probieren Sie es aus beim nächsten Stadtbummel.