Blödsinnig? Viel Beifall erntete Marcel Reich-Ranicki im Herbst des vergangenen Jahres, als er sich dem Ehrenpreis des Deutschen Fernsehens verweigerte, weil er viele der Sendungen als schlicht blödsinnig empfand. Ein offenes Wort. Diesbezüglich ist die Situation auf dem Buchmarkt auch nicht viel anders als im Fernsehen. Von jährlich über 80000 Novitäten ist längst nicht alles Gold, was glänzt, trotzdem dürfte es mehr Lesenswertes geben als auf den Kulturseiten der Medien gemeldet wird. Aber was und warum ist „lesenswert“ und was „blödsinnig“?
Kritik der Kritik „Woher nehmen Sie Ihre Kriterien?“ wurde Elke Heidenreich in einem in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Interview gefragt. Und ihre Antwort: „Die haben sich durch ganz lange Leseerfahrung gebildet. Durch Beschäftigung mit Büchern. Durch Abwägen.“ Doch was wird „abgewogen“? Was hat Gewicht? Was sind die Kriterien?
Auch bei Denis Scheck dem Moderator der sonntäglichen Büchersendung „Druckfrisch“ ist dazu nichts zu erfahren; er hält zwar manches für Stuss und wirft es in die symbolische Altpapiertonne, aber auch seine Kriterien scheinen mehr von subjektiver Emotion geprägt und werden nicht beim Namen genannt.
Klug oder schmuddelig?
Erinnern wir uns kurz an Charlotte Roches „Feuchtgebiete“. Die Bildzeitung nannte es "ein Schmuddelbuch", die Frankfurter Allgemeine "einen klugen Roman". Hinter welcher Zeitung hat sich da wohl der kluge Kopf versteckt? Empfiehlt es sich bei solch unterschiedlicher Beurteilung überhaupt eine Rezension zu lesen? Man wird den Eindruck nicht los, dass hier weniger Hilfe für eine Urteilsfindung geboten, sondern kräftig die Werbetrommel gerührt wird.
Kritik im Internet
Nicht viel anders die großen Internetbuchhändler. Hier werden Kundenkommentare großgeschrieben. Ziemlich einheitlich sollen Kunden bei ihren Kommentaren Sterne wie Noten vergeben. Aber auch davon dürfen wir uns nicht täuschen lassen. Was erfahren wir schon über ein Buch, dem drei Sterne verliehen wurden und u. a. der Kommentar „Ein klug geschriebenes Buch" oder „Eine außergewöhnliche Liebesgeschichte" oder „Ich war sehr positiv überrascht" oder „Ist ein echt gutes Buch"?
Bliebe noch zu überlegen, welcher Internetbuchhändler diejenigen Rezensenten hat, die mit unserem Empfinden (was genau ist das?) weitgehend harmonieren. Wir haben uns die Kundenstimmen in den Auftritten einiger Anbieter etwas näher angeschaut:
Beim kircheneigenen weltbild.de hatten bis 3. November des vergangenen Jahres 65 Kunden zu den hier bereits erwähnten Feuchtgebieten (von Charlotte Roche) ihre Stimme erhoben. Die Summe ihrer Urteile: Gut (3 Sterne). An dieser Bewertung hat sich auch Monate später – am 1. September 2009 – nichts geändert. Zu diesem Zeitpunkt ist die Anzahl der Kundenkommentare auf 107 gekletterert.
Bei bol.de gab es kritischere Kundenkommentare. Bis 3. November 2008 hatten 40 Kunden für die „Feuchtgebiete“ nur eineinhalb Sterne übrig, was fast der schlechtesten Wertung entspricht. Bis 1. September 2009 kommen vier weitere Kundenkommentare dazu. Die schlechte Bewertung (eineinhalb Sterne) bleibt.
Beim Marktführer Amazon meldeten sich (bis zum 3.11.08) 1065 Stimmen, die für insgesamt zweieinhalb Sterne votierten, das heißt: ein Quantum mehr als „weniger gut“. An dieser Bewertung ändert sich auch Monate später nichts als sich die Anzahl der Kundenkommentare auf 1492 erhöht hat.
Bleibt in unserer Untersuchung noch buecher.de. Hier bringt (per 3.11.2008) die Summe der Urteile von 151 Kunden Übereinstimmung mit der Meinung der Kunden von weltbild.de: Drei Sterne und das heißt „gut“. Am 01.09.2009 sind es 207 Kundenkommentare geworden. Das Gesamtergebnis – drei Sterne, Note gut – ändert sich nicht.
Es lebe die unabhängige Meinung
An der buecher.de GmbH & Co.KG ist auch die Verlagsgruppe Weltbild beteiligt. Wundert sich da noch jemand, wenn aus beiden Firmen Bücher ganz ähnlich beurteilt werden?
Zitat aus Wikipedia: Obwohl sie voneinander völlig unabhängig sind, arbeiten die Gesellschafter von buecher.de auch auf anderen Gebieten eng zusammen. So betreiben Axel Springer und T-Online gemeinsam die Online-Plattform Bild.T-Online, auf welcher öfter für den Kauf von Bild-Büchern (welche unter anderem im Weltbild-Verlag erscheinen) bei buecher.de geworben wird. Holtzbrinck und Weltbild halten beide 50% an der Buchverlagsgruppe Droemer-Knaur.
Man wird den Verdacht nicht los, dass in den Marketingabteilungen der Verlage eifrig Leserbriefe produziert werden, die zur Ankurbelung des Verkaufs Bücher über den grünen Klee loben. Von Herzen kommen solche Rezensionen nicht und seriös ist das auf keinen Fall. Man sollte sich nicht nur über die in fingierten Leserbriefen veröffentlichten Lobhudeleien über die Bahn entrüsten.
Seltsames
Zweifel sind angebracht über manche Rezension, die bei Internetbuchhändlern zu lesen ist. Da ist z. B. das "Redaktionsbüro", das man bei verschiedenen Internetbuchhändlern auch unter dem Nicknamen "Ottilie" findet und dort überall den gleichen Wortlaut zu "Kehlmann, Ruhm" veröffentlicht hat. "Ottilie" preist sich selbst auch als Ghostwriterin an.
Ein ähnlicher Profi-Schreiber ist Uli G. Seine Rezension über "Kehlmann, Ruhm" findet man unverändert bei den Internetbuchhandlungen amazon, bol.de, weltbild, buecher.de und thalia.
Kann es wirklich sein, dass Weltbild von Februar bis März 2009 nur von diesen beiden Profi-Schreibern eine Besprechung über Kehlmann, Ruhm erhalten hat?
Merkwürdigkeiten auch bei bol.de und thalia. Natürlich weiß nicht jeder, dass beide Firmen unter dem Dach eines gemeinsamen Konzerns leben und einen gemeinsamen Markenauftritt haben. Während bol.de ein reiner Internet-Shop ist, kann die Thalia-Gruppe immerhin 291 Sortimentsbuchhandlungen aufweisen. Im März 2009 wurden auf der jeweiligen Homepage der beiden Firmen zu Kehlmanns "Ruhm" acht Kundenrezensionen gezeigt und zwar exakt von den gleichen Personen. Was für ein Zufall – und welch ein Zusammenspiel! Und nicht nur das – beide Firmen machen denselben Fehler und zählen die Besprechung von „Ottilie“ doppelt!
Die Chance für den Buchhandel
In diesem Kuddelmuddel unterschiedlicher Meinungsdiktate könnte der Buchhandel ordnend eingreifen. Nicht, indem er Bücher ächtet oder boykottiert. Aber er könnte auf die Besonderheiten und den Wert einzelner Bücher hervorheben. Von einer Rezension muss man erwarten dürfen, dass sie dem Leser die Gründe für das Urteil nennt.
Um die Bedeutung einer Rezension - letztlich einer Meinung – einschätzen zu können, müsste man auch mehr über den Rezensenten wissen, über sein Vorwissen, seine Interessen und seinen Anspruch, nur dann lässt sich seine Aussage einordnen.
Ihre Meinung?
Was halten Sie von Rezensionen?
Was erwarten Sie von der Kritik?
Wir schreiben hier noch immer über 40 Verlage, deren Homepage wir uns zwischen Januar und März 2009 etwas näher angeschaut haben. Wie unterscheiden sie sich, welche Gemeinsamkeiten bieten sie an?
Dass Buchkäufer Fragen stellen, damit rechnen die wenigsten Verlage. So wurde der Link Fragen zum Buch nur bei zwei (von 40) Verlagen gefunden. Nach des Lesers Meinung, zusammengefasst unter Leserstimmen, erkundigen sich immerhin 35 % der Verlage. Veröffentlichungen dieser Leserstimmen auf der Homepage sind allerdings selten zu finden. Im Gegensatz zu den Internetbuchhändlern, bei denen des Lesers Stimme überbetont wird. 28 % der untersuchten Verlage zeigen auf ihrer Homepage ein Intro, eine der Website vorgeschaltete Animation oder grafische Präsentation. Autorenblogs und Podcasts werden angeboten und es fehlt auch nicht das Online-Magazin, während die gute alte Kundenzeitung (erhältlich auf dem Postweg oder in der Buchhandlung) seltener anzutreffen ist. Bei einigen Verlagen werden Lehrer besonders umworben, inklusive Newsletter und Prüfexemplare. Wer die etwas beschränkte Unterhaltung mit einem Computer liebt, kann sich des Geschenkefinders oder eines Orakels bedienen. Droemer Knaur bietet gar einen Service für Firmenkunden und wirbt dafür: „Die ausgewählten Produkte unterstützen Ihre Marketing- und PR-Arbeit auf vielfältige Weise – Give-away, als Bestandteil Ihres Messeauftritts, als Kundenpräsent oder als Geschenk an Geschäftspartner. Selbstverständlich bieten wir Ihnen auch die Möglichkeit, die Verlagsausgaben durch individuelle Sonderausstattungen Ihrem Unternehmensauftritt bzw. Ihrem Markendesign anzupassen.“ Dumont ist auf die Idee eines „interaktiven Buchfinders“ gekommen; Bücher können dort nach Inhalten, Stimmungslage, Preis, Seitenzahl oder Farbe gesucht werden. Auf der Homepage der Verlage entdeckt man auch Hörproben und Videos von vorlesenden Autorinnen und Autoren. Interessant dabei ist der Link www.zehnseiten.de Das Projekt ist so organisiert, dass sich Verlage melden können und ihr »Werbevideo« dementsprechend bezahlen. Die Website muss man natürlich erst mal kennen und gezielt ansurfen. Das verlangt noch einiges an werbender Vorarbeit. Transcipt betont ganz geschickt die Besonderheiten seiner Titel und fragt Autoren: „Bücher, die die Welt nicht braucht. - Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?“ Eine gute Frage, die wir uns merken sollten. Unter den Besonderheiten gut gefallen hat uns der Reclam Literatur-Döner, obwohl - bei allem Respekt - Döner nicht jedermanns Geschmack ist. Aber was hier auf der kreisenden Scheibe an gewürzten Zitaten ausgewählter Werke und mit Informationen garniert angeboten wird, ist mehr als schmackhaft. Überzeugen Sie sich selbst unter www.literaturdoener.de
Die Lesezeichen-Druckvorlage mit dem Motiv bestimmter Bücher scheint eine nette Idee zu sein. Ob sie auch angenommen und – wie gedacht – auch realisiert wird, wäre interessant zu wissen. Auf jeden Fall wurden Lesezeichen früher dem Sortiment, dann aber bereits ausgedruckt und verpackt, als eine willkommene Werbung für Kunden angeboten.
Und jetzt Twitter
Das Twittern auf den Websites der Verlage hat begonnen. Aber viel mehr als ein Gestammel und Worteschluckauf kommt dabei selten raus und das Auffinden einer lesenswerten Information gleicht dem Treffer in einem Lotteriespiel mit hunderten Nieten. Es wird nicht mehr lange dauern und die twitternden Verlage werden weiteren Leserverlust beklagen, vermutlich weil es die User ihres Twitter-Angebots verlernen, zehn Sätze hintereinander zu lesen und deren Sinn zu erkennen. Nach mehreren auf Twitter-Seiten verbrachten Stunden bei zwei Verlagen haben wir allerdings auch einen interessanten Link gefunden, den wir hier mitteilen: http://merky.de/b2b3ed Ein hörenswertes, spannendes Referat von Dr. Burghard König, Lektor im Rowohlt Taschenbuch Verlag, zum Thema „Wie funktioniert ein Verlag?“ Aber Vorsicht, auf der gleichen Website befindet sich auch Erotisches zum Hören.
Wenn ich mir was wünschen dürfte
Ehrlichkeit im Angebot
Zumindest die Händler sollten ihren Kunden alle lieferbaren Ausgaben eines Titels nennen. Als Kunde interessiert mich, ob mein Wunschtitel neben der gebundenen Ausgabe bereits als Taschenbuch existiert oder als Hörbuch oder als E-book.
Stellenwert
Gewünscht wird mehr Information. In welchem Zusammenhang steht das vorgestellte Buch mit den Richtlinien seines Verlegers, mit anderen (konkurrierenden Titeln) mit aktuellen Gesellschaftsthemen, mit vorgeprägten Meinungen?
Nutzen
Warum lohnt es sich über das Buch nachzudenken?
Bietet es Alternativen zu gängigen Meinungen?
Nimmt es Stellung zu aktuellen Gesellschaftsthemen?
Werte
Liefert das Buch angenehme, aber flüchtige Unterhaltung?
Welche Denkanstöße liefert es? Gibt es Institutionen (Parteien, Verbraucherinstitutionen, außerparlamentarische Organisationen, Kirchen, Verbände) oder andere Interessen, die das Buch wahrscheinlich ablehnen oder begrüßen?
Warum? Wie lässt sich diese Einschätzung begründen?
Stilkriterien?
Profil
Aktuelle Stellungnahmen zur Linie des Unternehmens.
Mehr Personifizierung. Wer lektoriert? Stellungnahmen von Buchhändlern, die nicht nur im allgemeinen Trend schwimmen.
Fehlt etwas in der Aufzählung?
Ergänzen Sie bitte unseren Wunschkatalog!
Und bitte schreiben Sie uns, wenn Sie über Twitter
interessante Informationen erhalten haben!
Was erwarten Sie von Ihrem Buchhändler?
Von Januar bis März 2009 haben wir uns mal die Homepage von 40 Verlagen angeschaut. Ausgewählt nach dem Zufallsprinzip und hier in alphabetischer Reihenfolge gelistet: Ammann Verlag - arsEdition - Aufbau- Verlag - Berlin Verlag - Brunnen Verlag - Campus - Carlsen - Coppenrath - Diogenes - Deutscher Taschenbuch Verlag - Droemer Knaur - Dumont - Eichborn - Gerth Medien - Groh - Hanser - Herder - Hoffmann und Campe - Kiepenheuer & Witsch - Klett-Cotta - Klöpfer & Meyer - Antje Kunstmann - Liebeskind - Limmat - Loewe -Nagel & Kimche - Oetinger - Peter Hammer - Piper - Reclam - Rombach - Rowohlt - Silberschnur - Suhrkamp - transcript - Ullstein - Wagenbach - Wallstein - Zsolnay
Mit welchen Gemeinsamkeiten präsentieren sich diese Verlage, wo gibt es Unterschiede? Welche Hinweise werden - möglichst unmittelbar – beim jeweiligen Titel gegeben? Dabei wollen wir auch etwas gewichten und nennen hier zunächst nur diejenigen Merkmale, die von mindestens 50 % der untersuchten Verlage berücksichtigt wurden.
Das Cover (100 %)
Jede Homepage präsentiert den Titel (aus Novitäten oder Katalog) mit einem farbigen Cover (in hoher oder niedriger Auflösung), das heißt: mehr oder weniger gut lesbar.
Inhalt (100 %)
Alle Anbieter stellen neben das Cover eine mehr oder weniger ausführliche Inhaltsangabe.
Warenkorb (95 %)
Nahezu alle Verlage bieten die Bestellmöglichkeit, den „Warenkorb“ an. Was für ein Segen, wenn sein Inhalt gleichmäßig auf alle Buchhandlungen ausgeschüttet würde. Aber dem ist nicht so. Fast alle Verlage verweisen gezielt an eine ganz bestimmte Lieferfirma oder liefern selbst aus. Würde man diesen Hinweisen folgen, hätte man es bei mehr als 30 % der Verlage mit nur zwei Firmen zu tun: den Internetbuchhandlungen Amazon und der Stein’schen Versandbuchhandlung in Werl. Den einen oder anderen Verlag mag dann doch das Gewissen plagen, weshalb er auf seiner Homepage einen Buchhandelsfinder einbaut oder auf Partnerschaftsbuchhandlungen verweist. Seltsam muten allerdings solche Buchhandelsfinder an, die auf den nächsten Buchladen in 50 Kilometer Entfernung verweisen, die Buchhandlung am eigenen Ort aber übersehen. Und was soll man sagen, wenn ein Verlag insgesamt nur 20 Partnerschaftsbuchhandlungen vorweisen kann? Übrigens, wir haben nur zwei Verlage gefunden, die auf den Warenkorb verzichten und nur einen Verlag, der ein völlig neutrales Bestellformular anbietet, auf dem man jede gewünschte Buchhandlung eintragen kann.
Das bieten fast alle
Selbstverständlich müssen auf der Homepage nicht alle Titel sämtliche hier aufgezählten Merkmale aufweisen. Aber die breite Masse hat sie, manchmal klar und deutlich, manchmal eher etwas versteckt:
1. Cover, mehr oder weniger gut lesbar, mit Bibliographie (100%)
2. Inhaltsangabe, mehr oder weniger ausführlich (100 %)
3. Warenkorb (95 %)
4. Autorenporträt (83 %)
5. Weitere Bücher des Autors (83 %)
6. Leseprobe (83 %)
7. Pressestimmen, Rezensionen (78 %)
8. Termine, Veranstaltungen (73 %)
9. Möglichkeit zum Ausdruck der Information (50 %)
Wer die Möglichkeit für eine Weiterempfehlung sucht, kann ebenfalls fündig werden (48 %). Seltener wird zu einem Gewinnspiel eingeladen (33 %). Wobei der häufigste Ort für Gewinnspiele der Newsletter ist und auf diesen wird in mindestens 73 % aller Homepages hingewiesen. Trailer, kurze Werbespots, oft Vorschauen auf Filme, haben wir bei 23 % gefunden.
Was es sonst noch auf den Homepages der Verlage zu sehen gibt, zeigen wir das nächste mal.