Sonntag, 18. Oktober 2009
Religionsmonitor


Noch mal zur Gretchenfrage
Wir haben es bereits mitgeteilt: unter www.religionsmonitor.com kann man sich (seit 2007) den Grad seiner persönlichen Religiosität messen lassen. Die repräsentative Studie der Bertelsmann Stiftung gibt Auskunft wie sich Religiosität innerhalb und außerhalb der institutionalisierten Kirchen zeigt - was auch für einen Teil des Buchmarkts Folgen haben kann.

Obwohl Bücher AbissZ gegenüber Wissenschaftlern Respekt hat, bekamen wir beim Lesen der Testfragen manchmal große Augen und leichtes Kopfschütteln. Warum, das wird hier begründet.


Der Religionsmonitor fragt: Wie häufig meditieren Sie?
Bücher AbissZ grübelt: Was heißt eigentlich "meditieren"? Heißt es nachdenken über etwas oder heißt es sich konzentrieren auf etwas – oder heißt es etwas ganz anderes? Kann man überhaupt meditieren ohne es erlernt zu haben?

Der Religionsmonitor fragt: Wie oft erleben Sie Situationen, in denen Sie das Gefühl haben, mit Allem Eins zu sein?
Bücher AbissZ grübelt: Seltsame Frage. Wie ist sie zu verstehen? Werde ich hier über mein Sexualleben ausgefragt? Dann antworte ich mit Luther: "In der Woche zwier, schadet weder ihm noch ihr." Bin ich jetzt religiös?

Der Religionsmonitor fragt: Wie oft denken Sie über Leid und Ungerechtigkeiten in der Welt nach?
Bücher AbissZ grübelt: Ist jemand religiös, der z.B. regelmäßig über den Krieg in Afghanistan oder Armut in Deutschland nachdenkt?

Der Religionsmonitor fragt: Einmal abgesehen davon, ob Sie sich selbst als religiöse Person bezeichnen oder nicht, als wie spirituell würden Sie sich selbst bezeichnen?
Bücher AbissZ grübelt: Was heißt das eigentlich, spirituell?

Der Religionsmonitor fragt: Wie wichtig ist für Sie Meditation?
Siehe oben unter "Wie häufig meditieren Sie?"

Der Religionsmonitor fragt: Wie stark leben Sie in Ihrem Alltag nach religiösen Geboten?
Bücher AbissZ grübelt: Wer nicht stiehlt und mordet und auch noch versucht nicht zu lügen, hält sich schon an fast 30 % der Zehn Gebote; oder fallen die zehn Gebote nicht unter die "religiösen Gebote"?

Der Religionsmonitor fragt: Wie stark glauben Sie an die Wirksamkeit von übersinnlichen Mächten?
Bücher AbissZ grübelt: Gehört der Placebo-Effekt auch zu den übersinnlichen Mächten?

Der Religionsmonitor fragt: Wie stark glauben Sie an Astrologie?
Bücher AbissZ grübelt: Ob es eine Astrologie gibt, die ernsthafter ist als die der Illustriertenhoroskope? Oder spielt das bei der Frage überhaupt keine Rolle?

Der Religionsmonitor fragt: Wie stark glauben Sie an die Wirkung von Dämonen?
Bücher AbissZ grübelt: Ist jemand, der nicht an Dämonen glaubt, weniger religiös als jemand der an Dämonen glaubt?

Der Religionsmonitor fragt: Wie oft lesen Sie religiöse oder spirituelle Bücher?
Bücher AbissZ grübelt : Wenn Glaube an Dämonen religiös ist, dann müsste doch BUFFY, IM BANN DER DÄMONEN, Bd.1 als "religiöses Buch" gelten, oder nicht?

Der Religionsmonitor fragt: Wie stark glauben Sie an die Wirkung von Engeln?
Bücher AbissZ wettet, dass viel mehr Menschen an Engel als an Gott glauben? Bücher AbissZ grübelt: Wenn der Glaube an Gott abnimmt, der Glaube an Engel aber zunimmt, wächst dann die Religiösität?

Der Religionsmonitor fragt nach der Stellungnahme zu folgender Behauptung: Ich finde, dass sich Ausländer an den vorherrschenden Lebensstil im Gastgeberland anpassen sollten.
Bücher AbissZ grübelt, was das mit Religion zu tun hat.

Aufgelesen

Der Schauspieler Ewan McGregor, Priester in Dan Browns Romanverfilmung "Iluminati" wurde vor einiger Zeit von Max Fellmann für das SZ-Magazin interviewt. Aus diesem Interview zitieren wir zwei Fragen mit ihren Antworten.

SZ-Magazin: Sind Sie religiös?
Ewan McGregor: Ich wurde nicht religiös erzogen. Also: nein.

SZ-Magazin: Haben Sie irgendetwas, was für Sie religiösen Wert besitzt?
Ewan McGregor: Motorradfahren.



Dienstag, 13. Oktober 2009
Gretchenfrage


Den Kirchen laufen die Schäfchen weg. Als Folge wird nicht etwa das Schwinden von Moral und Anstand und eine sprunghafte Zunahme von Mord und Totschlag festgestellt, sondern das Schrumpfen des Geldsäckels: die Kirchensteuer bleibt aus.

Dieser anhaltende Trend macht allen angst, die an Religion auch ein wirtschaftliches Interesse haben – und das sind (neben den Kirchen) auch Verlage und Buchhandlungen. In dieser Situation tröstet eine Studie der Bertelsmann Stiftung und macht Mut:

Der Religionsmonitor
Der Religionsmonitor ist ein Messinstrument, mit dem festgestellt werden soll was "Gläubige" eigentlich glauben. Moment mal, bitte, wenn Sie sich jetzt gelangweilt umdrehen, weil Sie "Gläubige" bisher als Angehörige einer Konfession betrachteten, der Sie nicht angehören. Es ist nicht so wie Sie denken; es ist anders: Gläubige sind nach dem Religionsmonitor Religiöse, die als wesentliches Merkmal den Transzendenzbezug haben, auf gut Deutsch, die versteckt oder offen an eine wie auch immer geartete Macht oder einen Regulator oder sonst was nicht direkt Greifbares, aber Mächtiges, glauben.

www.religionsmonitor.com
Wenn Sie also über Ihr Seelenleben "objektiven" Bescheid einholen möchten, ob Sie hochreligiös, religiös oder nichtreligiös sind, trauen Sie sich zum Klick und beantworten Sie gut 100 Fragen – vollkommen anonym versteht sich.

Übrigens wurde die repräsentative Religionsmonitor-Umfrage erstmals 2007 bei weltweit 21000 Menschen durchgeführt. Die meisten Fragen dieser Aktion finden Sie im Internet. Und das Ergebnis? Auf Deutschland bezogen heißt es:

Wir sind nicht atheistisch!
Kein Wunder bei den Fragen! Da drängt es sich auf nachzuforschen, ob unter den befragten 21 Ländern überhaupt ein einziges atheistisches ist. Wenn Sie es bisher nicht wussten, es ist nämlich so:
Religiös ist, wer z.B. an Dämonen oder Engel, an Horoskope oder Gott oder an alles glaubt – der Nichtreligiöse glaubt nichts, nicht mal an toi, toi, toi.



Sonntag, 13. September 2009
Wie gefährlich ist Dummheit?


Sehr gefährlich, denn gegen Dummheit ist kein Kraut gewachsen. Anscheinend resignierte selbst Voltaire, wenn er behauptete: Je öfter eine Dummheit wiederholt wird, desto mehr bekommt sie den Anschein der Klugheit. Der Wahrheitsgehalt der Romane Dan Browns („Sakrileg“, „Illuminati“) entspricht etwa dem der Bücher über Harry Potter. Da wundert es schon, wie viele Erwachsene ernsthaft daran glauben. Wie weit ist eine gewisse Volksverdummung heute schon vorangeschritten und wie gefährlich ist das? Greifen wir nur ein Beispiel heraus:

Die Hexen unserer Zeit geben sich friedfertig und weise, naturverbunden und voller Power und mit magischen Kräften ausgestattet, die wohl mehr der Einbildung entspringen. Wenn allerdings die Botschaft des Films „Antichrist“ kein Einzelfall bleibt, wird das Hexenbild wieder verändert in ein mittelalterliches, düsteres, das nach dem Scheiterhaufen ruft.
In der Fantasy-Bücherwelt wimmelt es von Magiern, Zauberlehrlingen und Dämonen, keusche Vampire könnten selbst den Papst wohlwollend stimmen und mit ihrem Heimchen-Herd-Getue Alice Schwarzer auf die Barrikaden bringen. Alles nicht weiter schlimm, wenn es in den Hirnen unter Verschluss gehalten wird. Es mag sogar trösten von Gleichberechtigung und Stärke zu träumen und von einer gewissen Überlegenheit. Gefährlich ist es, wenn dadurch für die Träumenden der Bezug zur Realität verloren geht, wenn sie im wirklichen Leben benachteiligt bleiben und sich dagegen nicht mehr wehren wollen.
Wir suchen etwas anderes. Wir suchen „gefährliche“ Bücher, mit denen sich die Auseinandersetzung lohnt. Ob Amazon bei dieser Suche helfen kann, oder Weltbild, Thalia, ein Verlag, ein Buchhändler – oder wer auch immer?



Samstag, 12. September 2009
Horror über Horror


Wie gefährlich sind Bücher?
Wenn Bücher bilden, ist es ebenso selbstverständlich, dass sie auch verbilden (können) – vorausgesetzt, sie werden gelesen. Das hat sich auch Cervantes in seinem im 17. Jahrhundert veröffentlichten „Don Quichote" zu Herzen genommen. Sein edler Junker liest – dem Bestsellertrend seiner Zeit folgend - so viele Ritterromane, dass er Wahn und Wirklichkeit nicht mehr auseinanderhalten kann und gegen Windmühlen anrennt, die ihm als Riesen erscheinen. Hätte man deshalb die Ritterromane verbieten sollen?

Grenzenlos Schlimmes
Vom Marquis de Sade bis Houellebecq wird viel Schreckliches an unser Hirn vermittelt. Und selbst die Bibel ist mit Gräueltaten gespickt. Über die Hauptfiguren eines seiner Theaterstücke schrieb Jean Genet: „Die Zofen sind Ungeheuer wie wir selber, wenn wir dieses oder jenes träumen." Wie schon früher gesagt: Bücher werden heutzutage meistens für ziemlich ungefährlich gehalten. Man glaubt, dass die wirklichen Gefahren bei Videospielen, im Internet und beim Waffenbesitz zu suchen sind. Denen drohen deshalb Zensur und Verbote. Wenn eine Killeridee aber erst einmal freigesetzt wird, kann auch keine ellenlange Verbotsliste ihre Untaten verhindern. Ohne Frage sind Gewaltverherrlichung, Blasphemie und Menschenverachtung auch in Büchern vorhanden. Wann wird dabei die Grenze des Erlaubten überschritten? Oftmals kann das eine heikle Frage für Juristen sein. Wichtiger als alle Verbote und Embargos ist auf jeden Fall der Verschluss gefährlicher Wahnideen in den Köpfen. Niemals darf dieser Verschluss entriegelt werden und den Weg in die Realität frei machen.

Kann Zensur helfen?
Wo fangen wir damit an – wo hören wir auf? Alles Gefährliche zu verbieten, geht wohl nicht und das richtige Maß finden, ist leichter gesagt als getan. Helfen könnte ein alternatives Angebot. Nur wer sich einseitig den Kopf voll pfropft, läuft Gefahr, den Bezug zu Realität zu verlieren. Das Wissen um Alternativen und ihre Anwendung sind ein gutes Mittel um eine gefährliche Einseitigkeit zu verhindern. Gibt es Verlage (Internet-)Buchhändler, die dabei helfen? Wo sind sie?



Mittwoch, 9. September 2009
Wie gefährlich sind Bücher?


Dass es gefährlich ist Bücher zu schreiben, bekam schon Friedrich Schiller am eigenen Leib zu spüren und konnte sich nur durch Flucht retten. Missfallen bei der Obrigkeit hatte sich auch der junge Goethe eingehandelt und sogar den Zorn der Kirche auf sich gezogen.

Gefährlich erschien Goethes Die Leiden des jungen Werther nicht nur, weil das Buch gegen die Konventionen seiner Zeit verstieß. immerhin soll es junge Menschen auch zum Selbstmord gelockt haben. In manchen deutschen Gegenden wurde es deshalb verboten. Für wie viele Selbstmörder "der Werther" den Anlass gab, ließ sich aber schon zu Goethes Zeiten nicht genau feststellen.

Gefährliche Bücher waren nicht nur der Kirche, sondern vor allem auch der Obrigkeit ein Dorn im Auge. Heinrich Heine ist nicht der einzige, der ein Lied davon singen konnte. Man muss aber gar nicht so weit in der Vergangenheit nach Büchern suchen, die angeblich dem „gesunden Geist“ schadeten. Derart „gefährliche" Bücher schadeten allerdings weniger ihren Lesern als der amtierenden Macht.

Ernsthaft glaubt heute niemand mehr, dass vom Buche Gefahr ausgeht - Anleitungen zum Bombenlegen, politische Hetzschriften und ähnliches einmal ausgenommen. Wirklich gefährlich sind, wird vielerorts behauptet, bestimmte Computerspiele. Darum dreht sich heute hauptsächlich die Diskussion. Richtig oder falsch? Sollte es nicht auch "gefährliche Bücher" geben, mit den sich eine Auseinandersetzung lohnt? In etwa hat Schiller unsere Frage nach der Gefährlichkeit von Büchern bereits beantwortet:

Gefährlich ists , den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.



Davon mehr das nächstemal.



Freitag, 4. September 2009
Die Verwirrung des Daniel Kehlmann


"Die Natur ist Satans Kirche"

Wie kommt es, dass vieles was im finstren Mittelalter gang und gäbe war, heute als überwunden gilt und dennoch in unseren Köpfen sitzt und jederzeit ausbrechen kann?

Einfacher gefragt:
Haben wir bestialisches Denken und Wünschen wirklich abgelegt?
Könnten wir uns heute nicht mehr an einer öffentlichen Hinrichtung freudvoll ergötzen? Verursacht uns die Marter der Gefolterten Erbarmen oder Lust? Daniel Kehlmann, prominenter Bestsellerautor (zuletzt erschien von ihm „Ruhm") bespricht in DIE ZEIT, Nr. 37, 3. September 2009 Lars von Triers Film "Antichrist". Unter der Überschrift DIE NATUR IST SATANS KIRCHE schreibt dort Kehlmann:

„Alles, was man über diesen Film hört, ist wahr. Seine Brutalität ist fast unerträglich, er ist blutig, dunkel und grausam, er enthält eine Verstümmelungsszene, die man, hat man sie gesehen, lieber nicht gesehen hätte, und sein Weltbild ist im umfassenden Wortsinn mittelalterlich..."

Das soll, könnte man meinen, genügen, um sich bei diesem Film für oder gegen einen Kinobesuch zu entscheiden. Aber nein, Daniel Kehlmann braucht weitere 167 Zeilen, auf denen er den „Antichrist" als ein außergewöhnliches Kunstwerk über das wahre Böse, den reinen Horror und den albtraumhaften Ekel feiert.

O-Ton Kehlmann: „ Dass aus der Fleischeslust Unheil erwächst, dass der Teufel der Herr der Natur ist, dass es Hexen gibt, die mit ihm im Bunde sind, und dass gegen seine dunkle Gewalt keine Therapie, sondern nur entschlossene Gegengewalt und reinigendes Feuer helfen, sind ja keine sozialpolitischen Thesen, sondern altbewährte Motive des Märchens und der Schauerromantik."

Und, das vergaß Daniel Kehlmann, sie sind auch Inhalt einer überwundenen mittelalterlichen Theologie. Aber vielleicht finden sich ja Theologen oder auch Buchhändler, die Kehlmann (und Lars von Trier) auf eine zeitgemäßere Interpretation des Bösen hinweisen.

Ansonsten: Wem mittelalterliches Denken und Perversionen fehlen, der weiß jetzt wo er sich befriedigen kann.

Siehe auch Blog "Aufgelesen".



Dienstag, 1. September 2009
Wettstreit der Religionen?


Religionen prägen die Gesellschaft
Wir wollen uns nichts vormachen: Religiöse Erfahrungen prägen alle Gesellschaften. Darüber zu streiten, welche dieser Erfahrungen unsinnig, sinnvoll, grausam oder rettend sind, welche Religion am Schluss die menschenfreundlichste ist, mündet in einer Diskussion ohne Ende. Paradoxerweise könnte in diesem Streit am besten nur ein atheistischer Souverän schlichten, der selbst auf einen absoluten Wahrheitsanspruch verzichtet, allen Diskutanten Religionsfreiheit garantiert und – wenn er auf demokratischen Füßen steht – alle Meinungen gerecht berücksichtigt.

Frage an die Religionen
Dass Ansichten auch innerhalb einer Religion sehr unterschiedlich sein können, wird manchmal der aufmerksamen Öffentlichkeit eindrucksvoll dokumentiert, etwa wenn es um die Freiheit der Forschung oder die Interpretation von Lehrmeinungen geht oder wie jüngst in der katholischen Kirche um den "rechten" Glauben der Piusbruderschaft. Die streitbare Ayaan Hirsi Ali und der nicht weniger streitbare Tariq Ramadan gerieten sich vor einiger Zeit in die Haare. Forderte die eine wegen schreiender Ungerechtigkeit eine Reform des Islams indem man die Muslime "entislamisiere", wirft ihr der andere obsessive Kritik vor und argumentiert, dass auch in anderen Religionen Gewalt eine große Rolle spielt (s. Welt-Online). - Das stimmt, und dennoch entschuldigt vielfaches Unrecht keine einzelne Untat: Zweimal Unrecht ist kein einziges Mal Recht. Religionen wie Regierungen müssen es sich gefallen lassen zumindest von suchenden Wählern gefragt zu werden, was sie Neues gebracht haben - Gutes, Schlechtes, Humanes und Inhumanes?

Ayaan Hirsi Ali, in Somalia geborene, bekannte Frauen-
rechtlerin und Auto-
rin, gilt als eine der schärfsten Kritike-
rinnen des Islam. Sie kämpft vor allem für die Rechte musli- mischer Frauen. Streng muslimisch erzogen begehrte sie früh auf gegen Zwangsheirat und die Fesseln einer unterdrückerischen Tradition. Ich klage an (7,95 €) von Ayaan Hirsi Ali und weitere Bücher von ihr erschienen bei Piper. Tariq Ramadan gilt als einer der schillerndsten muslimischen Intellektuellen im Westen. Für viele ist er ein "Wolf im Schafspelz", was ihm meist aufgrund seiner Herkunft unterstellt wird: er ist der Enkel Hassan al-Bannas, des Gründers der Muslimbrüder in Ägypten. Die Muslimbrüder – eine in Ägypten verbotene Gruppe – wollen einen islamischen Staat errichten, in dem die Scharia gelten soll.
Die Einträge im Internet für, gegen und über Tariq Ramadan überschreiten die Millionengrenze. Im französischen Fernsehen lief zwischen ihm und dem damaligen Innnenminister Nicolas Sarkozy eine emotional aufgeladene Diskussion, die als Video in französischer Sprache unter http://www.dailymotion.com/video/xbvaq_nicolas-sarkozy-vs-tariq-ramadan zu sehen ist. Dieses Video erhielt bis heute 155993 Abrufe und 722 Kommentare. Sehenswert ist auch der jüngste Beitrag von 3sat: http://www.youtube.com/watch?v=YEnCxxBUb34

Nina zu Fürstenberg hat eine diskutable Biographie geschrieben, die im Verlag Herder erschienen ist: Wer hat Angst vor Tariq Ramadan? Der Mann, der den Islam reformieren und die westliche Welt verändern will. Preis 16,95 €
Von Tariq Ramadan erschien dieses Jahr bei Diederichs: Radikale Reform. Die Botschaft des Islam für die moderne Gesellschaft, 24,95 €

Thesen des Tariq Ramadan:
Um einen Kampf der Kulturen zu verhindern braucht es Menschen, die aus ihren jeweiligen kulturellen, religiösen und intellektuellen Ghettos herauskommen.
Der Westen darf nicht behaupten, er wäre dem islamischen Orient überlegen.
Die Säkularisierung befreite nicht nur die Gesellschaft von der Herrschaft der Religion, sondern führte zugleich zu einer Infragestellung der Grundlagen der Moral.
Sich integrieren heißt sich verändern.
Die moderne westliche Welt ist eine Welt ohne Gott.
Nur der Islam kann die Synthese zwischen Christentum und Humanismus herstellen und die geistliche Leere des Westens auffüllen.

Zurück zu unserer eingangs gestellten Frage "Steinigen?" Tariq Ramadan wird wiederholt vorgeworfen, dass er sich nicht eindeutig für das Verbot von Steinigungen, sondern nur für ein Moratorium ausgesprochen habe. Mag sein, dass dabei auch privater Konflikt mitspielt; denn sein Bruder, Hani Ramadan, hat die Steinigung von Ehebrecherinnen öffentlich verteidigt und musste deshalb aus den den Diensten des Kantons Genf austreten.

Nicht um zu streiten, sondern aus Gründen der Nachdenklichkeit zitieren wir zu diesem Thema aus unterschiedlichen Quellen vier Beispiele, wohl wissend, dass die Kirchenvertreter, das, was in ihren "heiligen Büchern" steht, oft recht unterschiedlich interpretieren.

Ehebruch

Dazu sagt die Tora:

Wenn ein Mann dabei ertappt wird, wie er bei einer verheirateten Frau liegt, dann sollen beide sterben, der Mann, der bei der Frau gelegen hat, und die Frau. Du sollst das Böse aus Israel wegschaffen.

Dazu sagt das Neue Testament:
Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie in die Mitte und sagten zu ihm: Meister, diese Frau wurde beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt. Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Nun, was sagst du?... Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete sich Jesus auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie.

Dazu sagt der Koran:
Wenn eine Frau und ein Mann Unzucht begehen, dann geißelt jeden von ihnen mit hundert Hieben. Habt kein Mitleid mit ihnen angesichts der Religion Gottes, so ihr an Gott und den Jüngsten Tag glaubt.

Dazu ein Zitat aus der Literatur:
Ich kann so gut verstehen die ungetreuen Frauen,
So gut, mir ist, als könnt ich in ihre Seelen schauen.
Ich seh um ihre Stirnen die stumme Klage schweben,
Die Qual am langen, leeren, am lebenleeren Leben;
Ich seh in ihren Augen die Lust, sich aufzugeben,
Im Unergründlichen, Verbotenen zu leben,
Die Lust am Spiel, die Lust, das Letzte einzusetzen,
Die Lust am Sieg und Rausch, am Trügen und Verletzen.
Ich seh ihr Lächeln und die heimlichen, die Tränen,
Das rätselhafte Suchen, das ruhelose Sehnen.
Ich fühle, wie sies drängt zu törichten Entschlüssen,
Wie sie die Augen schließen, und wie sie quälen müssen;
Wie sie für jedes Morgen ein jedes Heut begraben,
Und wie sie nicht verstehen, wenn sie getötet haben.

Wir zitierten hier das Gedicht "Erfahrung" von Hugo von Hofmannsthal

Welche "Werte" in welchem Text wollen wir favorisieren?
Nach welchen "Werten" soll sich die Gesellschaft orientieren?
Welche "Werte" wären in allen Gesellschaften wünschenswert?


Alle hier erwähnten Bücher erhalten Sie in jeder Internetbuchhandlung. Mehr Information bekommen Sie - und mehr Spaß macht es auch - wenn Sie die Bücher in einer Buchhandlung in die Hand nehmen und darin blättern. Probieren Sie es aus beim nächsten Stadtbummel.



Montag, 31. August 2009
Die Buchkritik


Notwendig oder überflüssig?

Blödsinnig? Viel Beifall erntete Marcel Reich-Ranicki im Herbst des vergangenen Jahres, als er sich dem Ehrenpreis des Deutschen Fernsehens verweigerte, weil er viele der Sendungen als schlicht blödsinnig empfand. Ein offenes Wort. Diesbezüglich ist die Situation auf dem Buchmarkt auch nicht viel anders als im Fernsehen. Von jährlich über 80000 Novitäten ist längst nicht alles Gold, was glänzt, trotzdem dürfte es mehr Lesenswertes geben als auf den Kulturseiten der Medien gemeldet wird. Aber was und warum ist „lesenswert“ und was „blödsinnig“?


Kritik der Kritik
„Woher nehmen Sie Ihre Kriterien?“ wurde Elke Heidenreich in einem in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Interview gefragt. Und ihre Antwort: „Die haben sich durch ganz lange Leseerfahrung gebildet. Durch Beschäftigung mit Büchern. Durch Abwägen.“ Doch was wird „abgewogen“? Was hat Gewicht? Was sind die Kriterien?

Auch bei Denis Scheck dem Moderator der sonntäglichen Büchersendung „Druckfrisch“ ist dazu nichts zu erfahren; er hält zwar manches für Stuss und wirft es in die symbolische Altpapiertonne, aber auch seine Kriterien scheinen mehr von subjektiver Emotion geprägt und werden nicht beim Namen genannt.

Klug oder schmuddelig?
Erinnern wir uns kurz an Charlotte Roches „Feuchtgebiete“. Die Bildzeitung nannte es "ein Schmuddelbuch", die Frankfurter Allgemeine "einen klugen Roman". Hinter welcher Zeitung hat sich da wohl der kluge Kopf versteckt? Empfiehlt es sich bei solch unterschiedlicher Beurteilung überhaupt eine Rezension zu lesen? Man wird den Eindruck nicht los, dass hier weniger Hilfe für eine Urteilsfindung geboten, sondern kräftig die Werbetrommel gerührt wird.

Kritik im Internet
Nicht viel anders die großen Internetbuchhändler. Hier werden Kundenkommentare großgeschrieben. Ziemlich einheitlich sollen Kunden bei ihren Kommentaren Sterne wie Noten vergeben. Aber auch davon dürfen wir uns nicht täuschen lassen. Was erfahren wir schon über ein Buch, dem drei Sterne verliehen wurden und u. a. der Kommentar „Ein klug geschriebenes Buch" oder „Eine außergewöhnliche Liebesgeschichte" oder „Ich war sehr positiv überrascht" oder „Ist ein echt gutes Buch"?

Bliebe noch zu überlegen, welcher Internetbuchhändler diejenigen Rezensenten hat, die mit unserem Empfinden (was genau ist das?) weitgehend harmonieren. Wir haben uns die Kundenstimmen in den Auftritten einiger Anbieter etwas näher angeschaut:

Beim kircheneigenen weltbild.de hatten bis 3. November des vergangenen Jahres 65 Kunden zu den hier bereits erwähnten Feuchtgebieten (von Charlotte Roche) ihre Stimme erhoben. Die Summe ihrer Urteile: Gut (3 Sterne). An dieser Bewertung hat sich auch Monate später – am 1. September 2009 – nichts geändert. Zu diesem Zeitpunkt ist die Anzahl der Kundenkommentare auf 107 gekletterert.

Bei bol.de gab es kritischere Kundenkommentare. Bis 3. November 2008 hatten 40 Kunden für die „Feuchtgebiete“ nur eineinhalb Sterne übrig, was fast der schlechtesten Wertung entspricht. Bis 1. September 2009 kommen vier weitere Kundenkommentare dazu. Die schlechte Bewertung (eineinhalb Sterne) bleibt.

Beim Marktführer Amazon meldeten sich (bis zum 3.11.08) 1065 Stimmen, die für insgesamt zweieinhalb Sterne votierten, das heißt: ein Quantum mehr als „weniger gut“. An dieser Bewertung ändert sich auch Monate später nichts als sich die Anzahl der Kundenkommentare auf 1492 erhöht hat.

Bleibt in unserer Untersuchung noch buecher.de. Hier bringt (per 3.11.2008) die Summe der Urteile von 151 Kunden Übereinstimmung mit der Meinung der Kunden von weltbild.de: Drei Sterne und das heißt „gut“. Am 01.09.2009 sind es 207 Kundenkommentare geworden. Das Gesamtergebnis – drei Sterne, Note gut – ändert sich nicht.

Es lebe die unabhängige Meinung
An der buecher.de GmbH & Co.KG ist auch die Verlagsgruppe Weltbild beteiligt. Wundert sich da noch jemand, wenn aus beiden Firmen Bücher ganz ähnlich beurteilt werden?

Zitat aus Wikipedia: Obwohl sie voneinander völlig unabhängig sind, arbeiten die Gesellschafter von buecher.de auch auf anderen Gebieten eng zusammen. So betreiben Axel Springer und T-Online gemeinsam die Online-Plattform Bild.T-Online, auf welcher öfter für den Kauf von Bild-Büchern (welche unter anderem im Weltbild-Verlag erscheinen) bei buecher.de geworben wird. Holtzbrinck und Weltbild halten beide 50% an der Buchverlagsgruppe Droemer-Knaur.

Man wird den Verdacht nicht los, dass in den Marketingabteilungen der Verlage eifrig Leserbriefe produziert werden, die zur Ankurbelung des Verkaufs Bücher über den grünen Klee loben. Von Herzen kommen solche Rezensionen nicht und seriös ist das auf keinen Fall. Man sollte sich nicht nur über die in fingierten Leserbriefen veröffentlichten Lobhudeleien über die Bahn entrüsten.

Seltsames
Zweifel sind angebracht über manche Rezension, die bei Internetbuchhändlern zu lesen ist. Da ist z. B. das "Redaktionsbüro", das man bei verschiedenen Internetbuchhändlern auch unter dem Nicknamen "Ottilie" findet und dort überall den gleichen Wortlaut zu "Kehlmann, Ruhm" veröffentlicht hat. "Ottilie" preist sich selbst auch als Ghostwriterin an.

Ein ähnlicher Profi-Schreiber ist Uli G. Seine Rezension über "Kehlmann, Ruhm" findet man unverändert bei den Internetbuchhandlungen amazon, bol.de, weltbild, buecher.de und thalia.

Kann es wirklich sein, dass Weltbild von Februar bis März 2009 nur von diesen beiden Profi-Schreibern eine Besprechung über Kehlmann, Ruhm erhalten hat?

Merkwürdigkeiten auch bei bol.de und thalia. Natürlich weiß nicht jeder, dass beide Firmen unter dem Dach eines gemeinsamen Konzerns leben und einen gemeinsamen Markenauftritt haben. Während bol.de ein reiner Internet-Shop ist, kann die Thalia-Gruppe immerhin 291 Sortimentsbuchhandlungen aufweisen. Im März 2009 wurden auf der jeweiligen Homepage der beiden Firmen zu Kehlmanns "Ruhm" acht Kundenrezensionen gezeigt und zwar exakt von den gleichen Personen. Was für ein Zufall – und welch ein Zusammenspiel! Und nicht nur das – beide Firmen machen denselben Fehler und zählen die Besprechung von „Ottilie“ doppelt!

Die Chance für den Buchhandel
In diesem Kuddelmuddel unterschiedlicher Meinungsdiktate könnte der Buchhandel ordnend eingreifen. Nicht, indem er Bücher ächtet oder boykottiert. Aber er könnte auf die Besonderheiten und den Wert einzelner Bücher hervorheben. Von einer Rezension muss man erwarten dürfen, dass sie dem Leser die Gründe für das Urteil nennt.

Um die Bedeutung einer Rezension - letztlich einer Meinung – einschätzen zu können, müsste man auch mehr über den Rezensenten wissen, über sein Vorwissen, seine Interessen und seinen Anspruch, nur dann lässt sich seine Aussage einordnen.

Ihre Meinung?
Was halten Sie von Rezensionen?
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