Sonntag, 8. November 2009
Glaubenssache?

"Die Jahre von 1933 bis 1938 sind selbst aus der distanzierten Rückschau und in Kenntnis des Folgenden noch heute ein Faszinosum insofern, als es in der Geschichte kaum eine Parallele zu dem politischen Triumphzug Hitlers während jener ersten Jahre gibt."
Bundestagspräsident Philipp Jenninger vor dem deutschen Bundestag in seiner Rede am 10. November 1988. Die verunglückte Gedenkrede zwang Jenninger damals zum Rücktritt und eröffnete die Diskussion, ob er Nazi-Ansichten verbreitet oder historische Ereignisse zutreffend beschrieben habe.


Spätestens seit dieser berühmt misslungenen Rede müsste bekannt sein, mit welcher Behutsamkeit und Fingerspitzengefühl Deutungen, Erklärungsversuche und Vergleiche nationalsozialistischer Vergangenheit in unserer Gegenwart versucht werden sollten.

Der Kölner Kardinal Meisner hat daraus wenig oder unvollkommen gelernt. In seiner letzten Allerheiligen-Predigt wetterte er:
"Ähnlich wie einst die Nationalsozialisten im einzelnen Menschen primär nur den Träger des Erbgutes seiner Rasse sahen, definiert auch der Vorreiter der neuen Gottlosen, der Engländer Richard Dawkins, den Menschen als ‚Verpackung der allein wichtigen Gene’, deren Erhaltung der vorrangige Zweck unseres Daseins sei."

Reaktionen auf diese Predigt ließen nicht lange auf sich warten.
ddp meldete:
"Der Erzbischof von Köln, Kardinal Joachim Meisner, hat erneut mit einem Nazi-Vergleich für Aufsehen gesorgt. Meisner verglich in einem am Sonntag verbreiteten Text seiner Allerheiligen-Predigt im Kölner Dom das Weltbild des Evolutionsbiologen Richard Dawkins mit dem der Nazis."

Und der Spiegel schrieb:
"Meisner sucht nicht zum ersten Mal Vergleich mit den Nationalsozialismus. Seine Äußerungen hatten in der Vergangenheit mehrfach eine Welle der Empörung ausgelöst. So zog er Parallelen zwischen Abtreibungen und dem Holocaust. Religionsferne Kultur nannte er ‚entartet’."

Zuletzt DIE ZEIT am 5. November:
"... Nun könnte man sagen: Ach ja, der Meissner und seine reaktionären Ausrutscher! Doch leider liefert er Religionskritikern wie Dawkins – der in seinem Buch ‚Der Gotteswahn’ recht pauschal gegen jedwede Religiosität pöbelt – immer wieder die besten Belege für deren Vorurteile. Statt sich mit der Naturwissenschaft auseinanderzusetzen, verteufelt er sie..."

Nun lassen an dem Gotteswahn von Richard Dawkins auch namhafte atheistische Wissenschaftler kein gutes Haar. Doch ausgerechnet der katholische Borromäusverein übernimmt zu diesem Buch auf seiner Website den Werbetext des Ullstein Verlags und schreibt:

"Religion ist irrational, fortschrittsfeindlich und zerstörerisch. Richard Dawkins, einer der einflussreichsten Intellektuellen der Gegenwart, zeigt, warum der Glaube an Gott einer vernünftigen Betrachtung nicht standhalten kann. Ein wichtiges Buch, das zu einem brennend aktuellen Thema eindeutig und überzeugend Position bezieht, brillant und bei aller Schärfe humorvoll."

Wem dürfen wir glauben, Herr Kardinal?

Schon droht neues Ungemach. José Saramago, Literatur-Nobelpreisträger (1998), bekennender Atheist und Kommunist, schockiert die Gemüter (vorerst noch) in seinem Heimatland Portugal. In seinem neuesten Roman "Cain" rechnet er mit Kirche und Religionen ab. Die Bibel nennt er einen "Katalog der Grausamkeiten". Wo und wann die deutsche Übersetzung erscheinen wird, ist noch nicht bekannt. Vermutlich im Frühjahr 2010. Hoffentlich erfolgt dann nicht die nationalsozialistische Verteufelung, sondern eine Auseinandersetzung mit Argumenten.

Weiteres zum Thema findet man im EsoBlog unter "Religion".




Samstag, 10. Oktober 2009
Unbedingt lesenswert

Dick, doof und arm
Es war in DIE ZEIT vom 8. Oktober 2009 als Dossier zu lesen: „Dick, doof und arm“. Und dieser Beitrag von Wolfgang Uchatius ist unbedingt lesenswert. Siehe http://www.zeit.de/2009/42/DOS-Dick-und-doof Wer sich dafür interessiert wie man einen Bestseller macht bzw. wie Bestseller gemacht werden, wer hinter die Kulissen der Buchbranche schauen und etwas über ihre Mechanismen erfahren möchte, sollte diese Lektüre nicht verpassen. Er wird helle Freude daran haben, auch wenn am Schluss vielleicht Enttäuschung übrig bleibt, weil der Wert eines Buchs auf die Frage nach Rendite oder Verlust für den Verlag zurückgeschraubt wird. Auf jeden Fall gilt hier für Leser: Die Wahrheit wird frei machen - und misstrauisch gegenüber allen Bestsellerlisten und Werbekampagnen der untereinander verfilzten Medien und Buchkaufhäuser. Hoffentlich.



Dienstag, 22. September 2009
Grübeleien


Warum schrieb Jesus kein Buch?
Eigentlich schade, dass Jesus – obwohl er doch ein kluger Rabbi und ganz sicher lesen und schreiben konnte – kein Buch verfasst hat. Was mag ihn daran gehindert haben? Der Grund weshalb Mohammed zum Schreibzeug griff und den Koran verfasste, ist allgemein bekannt: Ein Engel diktierte ihm.

Heiliger Borromäus, hilf!
Zum Grübeln brachte uns der Hinweis auf der Website des Borromäusvereins „...dass es keine allgemeingültige und trennscharfe Formel gibt, nach der sich das christlich-jüdische Menschenbild auf Literatur und andere Medien anwenden ließe...“
Bücher AbissZ meint: Wenn es sich aber auf keine Literatur anwenden lässt, dann wohl auch auf nichts anderes? Oder nicht? Oder doch?

Was stimmt?
Richard Dawkins, „Der Gotteswahn" ist seit 2008 auch als Ullstein-Tb lieferbar. Über dieses Buch, das am Christentum kein gutes Haar lässt, sagte der evangelische Theologe Fulbert Steffensky: „Dawkins finde ich von dröhnender Banalität."
Einer der bedeutendsten deutschen Wissenschaftstheoretiker, Hans Albert, zugleich ein bekennender Atheist, erklärte: „Dawkins' Buch finde ich nicht besonders überzeugend... es ist erkenntnistheoretisch teilweise naiv."
Ganz anders der kircheneigene Borromäusverein; er beschreibt dieses Buch so: "»Religion ist irrational, fortschrittsfeindlich und zerstörerisch.«" Richard Dawkins, einer der einflussreichsten Intellektuellen der Gegenwart, zeigt, warum der Glaube an Gott einer vernünftigen Betrachtung nicht standhalten kann. Ein wichtiges Buch, das zu einem brennend aktuellen Thema eindeutig und überzeugend Position bezieht brillant und bei aller Schärfe humorvoll."
Bücher AbissZ meint: Wenn das der Papst wüsste!

Harmonie von christlicher Weltanschauung und Markterfordernissen
Wie das funktioniert müsste WELTBILD mal näher erklären. Der Internetbuchhändler formuliert auf seiner Homepage: „Verantwortung gegenüber Kunden, Gesellschaftern, Mitarbeitern und der Öffentlichkeit prägt das unternehmerische Denken und Handeln. Christliche Weltanschauung mit den Erfordernissen des Marktes überzeugend in Einklang zu bringen, heißt die tägliche Herausforderung. Die Orientierung an Werten ist Maßstab. Die Gesellschafter der Verlagsgruppe Weltbild sind 14 katholische deutsche Diözesen und die Soldatenseelsorge."
Bücher AbissZ meint: Dieses Bekenntnis hat allerdings den Anfang 2009 gekündigten 322 Weltbild-Mitarbeitern wenig geholfen.



Donnerstag, 17. September 2009
Aufgelesen

Wir zitieren einen Leserbrief aus DIE ZEIT Nr. 39, vom 17.09.2009 und verweisen auf den Blog "Die Verwirrung des Daniel Kehlmann" (s. THEMEN, Zur Diskussion).


Abgefeimte Frage
Daniel Kehlmann: "Die Natur ist Satans Kirche" ZEIT NR. 37

"Was, wenn die Hexenverbrennungen berechtigt waren? Wenn es den Teufel gibt und wenn böse Frauen existieren, die mit ihm im Bunde sind?" fragt Literatur-Shootingstar Kehlmann kühn. Ja, was wäre dann? Das wäre eine glänzende Rechtfertigung der massenhaften Hexenverfolgungen durch die christlichen Kirchen und eine Rehabilitation erster Klasse all der Inquisitoren, Verleumder, Folterknechte, Henker, deren Motive man bislang in kollektivem Wahn, Paranoia, Sexualneuerosen und Sadismus gesehen hat. Diese sich so naiv gebärdende und doch so abgefeimte Frage ließe sich, konsequent weitergedacht, für all jene Gruppen von Menschen stellen, die Verfolgung und Massenmord anheimgefallen sind: "Was, wenn sie letztlich zu Recht vernichtet wurden? Weil..." - nun, die Gründe mag Herr Kehlmann sich bei den Mördern selbst abholen.
Hermann Engster, Göttingen