Montag, 20. September 2010
Freiheit, die ich meine
Der neue Hype ist schon seit gut einer Woche da. Es ist das Buch von Jonathan Franzen: Freiheit. Jonathan Franzen ist kein Unbekannter. Sein vor neun Jahren erschienener Roman „Korrekturen" erreichte weltweit eine Millionenauflage. Bei seinem neuesten Buch überstürzen sich die Rezensenten mit Stellungnahmen. Und das in kürzester Zeit. Ist das noch normal?

NEIN Ich misstraue allen Rezensenten, die innerhalb von vier Tagen eine angeblich fundierte Kritik über ein 700 Seiten starkes Buch abgeben, an dem der Autor über neun Jahre gearbeitet hat.
Jonathan Franzen, Freiheit. Roman. 736 Seiten, 24,95 €

JA Ich denke langsam und grüble über „moralisch" und „moralisierend". Wo liegt der Unterschied?
Jonathan Franzen, Freiheit „ist ein hochmoralisches, doch niemals moralisierendes Buch...“ Felicitas von Lovenberg (FAZ.NET)

JA Ich werde dieses Buch wahrscheinlich kaufen; aber frühestens in 3 Monaten; bis dahin werde ich Meinungen sammeln.

NEIN Ich zweifle an einer guten Übersetzung, wenn ein einzelner Übersetzer gar nicht so schnell arbeiten kann, wenn - nur um hysterisch schnell zu sein - zwei Übersetzer ans Werk gehen.
Jonathan Franzen, Freiheit. Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell und Eike Schönfeld

??? Aus einem Interview im Deutschlandfunk:
Armbruster (Deutschlandfunk): „Franzen schreibt groß angelegte Familienromane... Auch "Freiheit" gehört wieder in dieses Genre. Ist das nicht eigentlich ein Format des 19. Jahrhunderts?"
Iris Radisch (Die Zeit): "Ja, das ist schon wahr. Nur: es hat die Familie ja nicht aufgehört zu existieren, und er begleitet ihre Krisen. Wenn es in den "Korrekturen" eher um das Auseinanderfallen, Auseinanderdriften der Familienstrukturen ging, ist dies ja wohl ein Roman, der Hoffnung geben will, der Wege zeigen will, der vielleicht sogar Therapien bieten will, wie die Familie wieder zusammenwachsen kann."

Bücher AbissZ: Familie, Einehe, Familie mit oder ohne Ehe, Patchworkfamilie, Paarfamilie, Homoehe, Alleinerziehende Eltern. Der Familienbegriff des 19. Jahrhunderts hat sich schon sehr verändert. Um welche „Familie" geht es wohl bei Franzen?

Wolfgang Schneider (Deutschlandradio Kultur) sagt es klarer: „Der "Familienroman" war schon in den "Buddenbrooks" ein Familienzerstörungsroman. Familie ist erst recht bei Franzen kein neobiedermeierliches Idyll, sondern ein Laboratorium emotionaler Komplexität. Hier sind die Menschen vertäut, hier glühen ihre Hoffnungen und Sehnsüchte, hier erleiden sie ihre Enttäuschungen und Lebenslügen, hier werden die Fehler gemacht, die noch in der nächsten Generation nachwirken, hier laufen langwierige Wiedergutmachungsprojekte, hier durchkreuzen Söhne und Töchter die Lebensaufträge, die ihnen von den Eltern aufgehalst wurden, hier fällt der Apfel möglichst weit vom Stamm."

!!! Aus FAZ.Net–Gespräch mit dem Autor:
Jonathan Franzen: „Der Feind (des Lesens) ist nicht das Fernsehen, sondern das Internet, das jeden neuen Tag in eine Million bedeutungsloser Partikel zerbricht. Ich glaube, Schriftsteller müssen heute unnachgiebiger denn je versuchen, Erzählungen zu schaffen, welche die Menschen von dieser oberflächlichen Sofort-Befriedigung wegholen. Insofern konkurriere ich vielleicht doch, aber nicht, weil ich glaube, dass das Internet etwas besser kann, sondern im Gegenteil: weil ich denke, dass das Internet und die sozialen Netzwerke bösartige Drogen sind, die enormen gesellschaftlichen und psychologischen Schaden anrichten. Der Roman in seiner besten Form kann Menschen an die besseren, stilleren, tiefer in sich ruhenden Seiten ihres Selbst erinnern."

JA Jonathan Franzen hat recht! Und deshalb verabschiede ich mich mal aus meinem Blog.
Bücher AbissZ